Samstag, 6. Dezember 2025, 16 bis 18 Uhr
FEMINIST PERSPECTIVES OF DISABILITY
Programm 3 | INKLUSION II: AESTHETICS OF ACCESS – Kreative Aktivismen
Wie wird Barrierefreiheit selbst zum künstlerischen Material? Was geschieht, wenn Access nicht nur mitgedacht, sondern neu erfunden wird? Das dritte Programm führt die Fragen inklusiver Filmpraxis weiter und vertieft sie: Hier geht es nicht mehr nur darum, dass behinderte Künstler*innen die Produktionsprozesse gestalten, sondern darum, wie sie bestehende Systeme des Zugangs fundamental hinterfragen, subvertieren und durch kreative, selbstbestimmte Alternativen ersetzen.
Die vier Arbeiten verstehen Zugänglichkeit nicht als Problem, das gelöst werden muss, sondern als Ausgangspunkt für künstlerische Innovation. Sie machen sichtbar, wie normative Vorstellungen von "Hilfe" und "Anpassung" oft selbst zu Barrieren werden – und entwickeln dagegen eigenwillige, poetische, manchmal auch provokante Gegen-Entwürfe. Dabei wird deutlich, dass kreative Systeme des Zugangs nicht nur funktional, sondern immer auch politisch sind. Sie stellen Machtfragen, fordern Umverteilung von Verantwortung und imaginieren andere Formen des Zusammenseins.
Carmen Papalia ersetzt in Mobility Device den weißen Blindenstock – jenes Symbol institutionalisierter Behinderung, das ihn zu einer bestimmten Art von blindem Menschen machen wollte – durch eine Marching Band. Die Musiker*innen übersetzen Bordsteine, Laternenpfähle und andere Hindernisse auf seinem Weg durch die Stadt in musikalische Cues und verwandeln den öffentlichen Raum in eine kollektive Klanglandschaft. Papalias Performance macht symbolisch die Musikalität sichtbar, die dem weißen Stock innewohnt, und kehrt dabei dessen soziale Funktion um: Statt andere davon abzuhalten zu helfen, lädt die Band zur Teilhabe ein. Mobility Device ist damit mehr als eine alternative Navigationsmethode – es ist ein Vorschlag für von Nutzer*innen generierte, prozessbasierte Systeme des Zugangs, die nicht institutionalisieren, sondern Interdependenz feiern.
RA Waldens Notes from the Underlands ist eine performative Vision aus den Tiefen queerer Crip-Kultur. Der Text entwirft sowohl eine zukunftsorientierte Utopie eines kranken, behinderten und care-gebenden Miteinanders als auch einen dringenden Aufruf zum Handeln im Jetzt. Walden performen durch Video, Audio, großformatige Drucke und Untertitel – und stellt damit die Vorstellung infrage, dass der Körper physisch präsent (und fähig) sein muss, um zu performen. Die Arbeit macht deutlich: Performance kann auch dann stattfinden, wenn der Körper abwesend, fragmentiert oder durch Technologie vermittelt ist. Access wird hier nicht nachträglich hinzugefügt, sondern ist die ästhetische Grundstruktur selbst.
Philipp Muerlings Performance Am Haupteingang (Besuch am Schillerplatz) dokumentiert eine radikale Konfrontation. Als erster Rollstuhlfahrer in der Geschichte der Akademie der bildenden Künste Wien weigert sich Muerling, den barrierefreien Hintereingang zu benutzen. Stattdessen fährt er wiederholt vor die monumentale Prunkstiege des Haupteingangs, lässt sich aus dem Rollstuhl auf den Boden fallen und versucht, sich die Stufen hinaufzuziehen – ein Unterfangen, das jedes Mal scheitern muss. Muerling macht deutlich: Der Verweis auf den barrierefreien Hintereingang, der ihm zur Verfügung steht, ist keine Lösung, sondern strukturelle Gewalt. Inklusion bedeutet nicht, "irgendwie reinzukommen", sondern denselben Eingang nutzen zu können wie alle anderen – als Selbstverständlichkeit, nicht als Privileg. Nach 31 Vorstellungen verliert er die Geduld: "Ich werde die Performance wiederholen, bis die Anforderungen erfüllt werden oder mein Körper scheitert. Das Letztere ist wahrscheinlicher."
Christine Sun Kims [Closer Captions] dekonstruiert die Unzulänglichkeiten von Closed Captions – jener technischen "Lösung", die tauben Menschen Zugang zu audiovisuellen Medien verschaffen soll, aber meist katastrophal schlecht funktioniert. Kim, die als taube Künstlerin in Berlin lebt, enthüllt ein "nicht-so-gut-gehütetes Geheimnis": Viele herkömmliche Methoden der Audiodeskription sind völlig unzulänglich („they suck“). Anstatt den Sound bloß zu transkribieren, zeigt Kim, was Captions sein könnten – ein kreativer, interpretierender Akt, der Klang nicht nur beschreibt, sondern übersetzt, kontextualisiert, emotionalisiert. Ihre selbst produzierten und untertitelten Aufnahmen machen deutlich: Sprache über Sound ist niemals neutral. Jede Beschreibung ist eine Interpretation, jede Caption eine ästhetische Entscheidung. Kim fordert damit nicht bessere Untertitel, sondern eine grundlegende Neudefinition dessen, was Access im Bereich des Auditiven bedeuten kann.
Die vier Arbeiten folgen einem gemeinsamen Prinzip: Sie lehnen normative, institutionalisierte Formen der "Anpassung" ab und entwickeln stattdessen eigensinnige, künstlerisch-politische Alternativen. Sie zeigen, dass kreative Systeme des Zugangs nicht nur funktionaler, sondern auch schöner, radikaler und emanzipatorischer sein können als das, was Institutionen als "barrierefrei" verkaufen. Dabei machen sie deutlich: Die Verantwortung für Zugänglichkeit darf nicht bei behinderten Menschen liegen. Es ist nicht Philipp Muerlings Aufgabe, sich die Treppe hochzuquälen. Es ist nicht Carmen Papalias Aufgabe, sich mit dem weißen Stock zu arrangieren. Die Frage ist nicht, wie sich behinderte Menschen besser anpassen können, sondern wann endlich die Strukturen sich ändern. Access first ist kein Nice-to-have, sondern eine Forderung nach radikaler Umverteilung von Macht, Raum und Möglichkeiten.
Im Panel ACTIVISMS TO ACTIVATIONS geht es um Initiativen, unabhängige Interessenvertretungen, Vereine und Aktionen von Einzelpersonen, die aus gelebter Erfahrung auf die Lebensbedingungen von Menschen mit Behinderungen aufmerksam machen. In der Diskussion sprechen Vertreter*innen, Aktivist*innen und Künstler*innen über die Notwendigkeit von Aktionen, Gemeinschaften und Netzwerken, um Barrieren abzubauen und Gleichberechtigung, selbstbestimmtes Leben und kulturelle Teilhabe zu fördern. Dabei geht es auch um die Arbeit hinter diesen Initiativen und um die Einschätzung der aktuellen gesellschaftlichen Situation für Menschen mit Behinderungen aus der Sicht ihrer Vertreter*innen. Zu den Teilnehmenden gehören Julia Moser vom Verein Frauen* mit Behinderungen, der ersten unabhängigen Interessenvertretung für Frauen* mit Behinderungen in Österreich; Ema Benčíková und Mikki Muhr sprechen über die OFFENE redAKTION. Während der Projektdauer entstehen Treff- und Verhandlungsräume für Menschen mit Behinderungen, mit chronischen Erkrankungen und ohne Behinderungen. Die OFFENE redAKTION ist ein fortlaufender kollektiver Prozess, entstanden als Fortführung des Crip Magazine von Eva Egermann. Außerdem spricht Jannik Franzen aus der Arbeitsgruppe Barriereabbau und Gender Diversity des Vereins dieRegisseur*innen über die Aktivitäten der Arbeitagruppe. Der Bildende Künstler Philipp Muerling, dessen Film Am Haupteingang (Besuch am Schillerplatz) im Rahmen des Festivals gezeigt wird, spricht über seine künstlerische Arbeit und darüber, wie Filme und dokumentierte Aktionen am Beispiel Am Haupteingang (Besuch am Schillerplatz) dazu beitragen, die Diskussion über Gleichberechtigung in eine breitere Öffentlichkeit zu tragen.
Moderation: Bernd Oppl
mit
Ema Benčíková und Mikki Muhr (OFFENE redAKTION offspring of the Crip Magazine)
Jannik Franzen (AG Barriereabbau und Genderdiversität | dieRegisseur*innen)
Julia Moser (Verein Frauen* mit Behinderungen)
Philipp Muerling
(Gespräch auf Deutsch, ÖGS)
Der Eintritt zur der Veranstaltung und zum Screening ist frei, benötigt wird lediglich die Online-Anmeldung für ein Ticket. Registrieren Sie sich bitte für jene Slots, an denen Sie persönlich teilnehmen können. Das Ticket können Sie an der Kassa gegen ein Bändchen tauschen, das an dem Tag auch den kostenlosen Eintritt in alle Ausstellungen des mumok ermöglicht.
Die Organisatorinnen möchten mit dem freien Eintritt eine niederschwellige Teilnahme am Programm ermöglichen, bitten jedoch um eine freiwillige Spende für den organisatorischen Aufwand. Eine Spendenbox wird im mumok kino aufgestellt.
Carmen Papalia, ein blinder Künstler und Aktivist aus Vancouver, begann vor etwa zehn Jahren einen weißen Blindenstock zu benutzen – ein Symbol, das für ihn zugleich Zugang und Institutionalisierung bedeutete. Der Stock machte ihm die Welt anders erfahrbar, erweiterte seine „Karte“, doch er fühlte sich dadurch auch auf eine bestimmte Rolle festgelegt: auf den blinden Menschen mit der riesigen Sonnenbrille, den Klavierstimmer oder Masseur, der auf vorgegebenen Routen geht und auf vorgegebene Weise über seine Blindheit spricht. Den, den man nie sieht, von dem man aber weiß, dass es ihn gibt.
In Mobility Device ersetzt Papalia den weißen Stock durch eine Highschool-Marching-Band. Begleitet von der Great Centurion Marching Band der Century High School in Santa Ana erkundet er die Innenstadt, während die Musiker*innen unter der Leitung von R. Scott Devoe musikalische Hinweise geben: Hindernisse, Objekte, Informationen, die für seine Navigation relevant sein könnten. Als musikalisches Stück ist Mobility Device eine Erweiterung der Musikalität des weißen Stocks – es macht hörbar, was der Stock bei jeder Gelegenheit berühren könnte. Bordsteine, Laternenpfähle, Werbetafeln werden zu Noten in der Klanglandschaft eines Ortes.
Doch die Arbeit ist mehr als eine alternative Navigationsmethode. Sie schlägt nutzer*innengenerierte, prozessbasierte, kreative Systeme des Zugangs vor – Systeme, die nicht institutionalisieren, sondern Interdependenz und Zusammenarbeit in den Mittelpunkt rücken. Papalia beschreibt seine Praxis als Widerstand gegen Unterstützungsoptionen, die ableistische Konzepte von Normalität fördern. Seine sozial engagierten Performances laden Teilnehmende ein, ihre perzeptuelle Mobilität zu erweitern und sich öffentliche und institutionelle Räume anzueignen. Mobility Device zeigt: Der weiße Stock ist nicht neutral – er ist ein Symbol, das verhindert, dass Menschen ihrer Neigung folgen zu helfen. Die Marching Band kehrt diese soziale Funktion um und macht aus Access ein kollektives, klangliches Erlebnis.
Der Film ist ein performativer Text aus den Tiefen queerer Crip-Kultur – gleichezitig zukunftsorientierte Vision einer kranken, behinderten und care-gebenden Utopie und dringender Aufruf zum Handeln im Jetzt. RA Walden, transdisziplinäre Künstler*innen mit Sitz in London und Berlin, deren Praxis eine queere, behinderte Perspektive auf die Fragilität des Körpers ins Zentrum stellt, performen den Text durch Video, Audio, großformatige Drucke und Untertitel. Diese multiple Präsenz fordert die Vorstellung heraus, dass der Körper physisch anwesend (und fähig) sein muss, um zu performen.
Waldens Arbeit untersucht unsere Fähigkeit und unser Scheitern, mit Körperlichkeit, Interdependenz und Verletzlichkeit umzugehen – sowohl gemeinschaftlich als auch individuell. Welterschaffung wird hier nicht als visionäres Werkzeug für eine imaginierte Zukunft verstanden, sondern als verkörperte Methode für das Jetzt. Die Arbeit verwebt skulpturale, installative und videografische Elemente mit einer sozial engagierten, forschungsbasierten Arbeitsweise.
Waldens Praxis ist tief in aktivistischen Strukturen verankert. Sie sind verbunden mit der Sickness Affinity Group, einem Künstler*innen- und Aktivist*innen-Kollektiv, das sich mit Fragen von Krankheit und Behinderung auseinandersetzt. Notes from the Underlands macht Access zur ästhetischen Grundstruktur: Die Arbeit existiert simultan in verschiedenen Medien und Formaten, sodass sie auf verschiedene Weisen erfahrbar wird – nicht als Ergänzung, sondern als konstitutives Prinzip. Walden zeigen: Performance kann auch dann stattfinden, wenn der Körper abwesend, fragmentiert oder durch Technologie vermittelt ist. Die Underlands sind dabei nicht nur ein metaphorischer Raum, sondern der reale Ort, an dem kranke und behinderte Menschen leben – oft unsichtbar, oft ausgegrenzt, aber mit eigenen Kulturen, Praktiken und Utopien.
Wien, Schillerplatz, Oktober 2022: Philipp Muerling fährt im Elektrorollstuhl vor den monumentalen Haupteingang der Akademie der bildenden Künste. Als erster Rollstuhlfahrer in der 354-jährigen Geschichte dieser Institution steht er vor einem Problem, das symptomatisch ist: Der Prunkeingang ist für ihn nicht zugänglich. Er lässt sich aus dem Rollstuhl auf den Boden fallen, richtet sich zur ersten Stufe auf und versucht, sich am Treppengeländer hochzuziehen. Was für andere keine Minute dauert, wird für ihn zu einer qualvollen, zum Scheitern verurteilten Aktion. Nach etwa 15 Minuten geben seine Kräfte nach. Er bleibt auf den Betonstufen liegen.
Diese Performance wird Muerling über 31 Mal wiederholen – bei Kälte, Regen und Schnee. Sie ist Kunstwerk und Protest, Verzweiflungsakt und politisches Statement. Die Akademie verweist ihn auf den "barrierefreien" Hintereingang in der Makartgasse – ein mühsamer Weg, der mehrere technische Hürden, steile Rampen, schwere Türen und die Abhängigkeit von funktionierender Technik bedeutet. Aus Sicherheitsgründen muss er sich beim Empfang anmelden – der sich allerdings beim Haupteingang befindet, sodass er das gesamte Gebäude durchqueren muss.
Für Muerling ist diese "Lösung" keine Inklusion, sondern strukturelle Diskriminierung. "Es geht nicht nur um Barrierefreiheit, sondern um Inklusion", betont er. Inklusion bedeute, dass er wie alle anderen selbstverständlich den Haupteingang benutzen kann – auf Augenhöhe, ohne Umwege, ohne Sonderbehandlung.
Seine radikale Selbstgefährdung entlarvt eine Gesellschaft, die lieber zusieht, wie sich ein behinderter Mensch die Treppen hochquält, als ihre ausgrenzenden Strukturen zu ändern. Muerlings Körper wird zum Beweis für institutionellen Ausschluss. Am Ende steht seine Erkenntnis: "Ich werde die Performance wiederholen, bis die Anforderungen erfüllt werden oder mein Körper scheitert. Das Letztere ist wahrscheinlicher." Die Videoarbeit dokumentiert diesen Prozess des wiederholten Scheiterns und macht damit ein strukturelles Problem sichtbar, das weit über eine einzelne Institution hinausweist.
Die in Berlin lebende Künstlerin Christine Sun Kim denkt viel über Closed Captions nach. Und sie lässt uns an einem nicht-so-gut-gehüteten Geheimnis teilhaben: Sie sind schlecht. Wirklich schlecht. Für taube Menschen wie Kim, die auf Untertitel angewiesen sind, um audiovisuelle Medien zu konsumieren, sind Captions oft frustrierend unzureichend – technisch fehlerhaft, inhaltlich flach, ästhetisch lieblos.
In [Closer Captions] zeigt Kim, was Untertitel sein könnten, wenn sie nicht als rein technisches Hilfsmittel, sondern als kreatives, interpretatives Medium verstanden würden. Mit selbst aufgenommenem und untertiteltem Material demonstriert sie, dass die Beschreibung von Sound niemals neutral ist. Jede Caption ist eine Übersetzung, eine Interpretation, eine ästhetische Entscheidung. Wie beschreibt man Musik? Wie übersetzt man Tonfall, Ironie, Stimmung? Welche Worte wählt man für Geräusche? Diese Fragen berühren grundlegende Aspekte von Sprache, Bedeutung und Wahrnehmung.
[Closer Captions] ist dabei mehr als eine Kritik am Status quo der Untertitelung. Es ist ein Vorschlag für eine radikal andere Praxis: Captions als kreative, subjektive, poetische Akte der Übersetzung. Kim macht deutlich, dass die Forderung nach "besseren" Untertiteln zu kurz greift. Was es braucht, ist eine grundlegende Neudefinition dessen, was Access im Bereich des Auditiven bedeuten kann – eine Definition, die von tauben Menschen selbst entwickelt wird, nicht von hörenden "Expert*innen".
Mit Humor und kritischer Schärfe zeigt Kim, dass technische Lösungen für Barrierefreiheit nie neutral sind. Sie tragen immer die Perspektive derjenigen, die sie entwickeln – und diese Perspektive ist meist nicht die der Menschen, die diese Tools tatsächlich brauchen. [Closer Captions] fordert deshalb nicht nur bessere Technologie, sondern eine Umverteilung von Autorität: Wer entscheidet, wie Sound beschrieben wird? Wessen ästhetische Entscheidungen zählen? Wie wird aus technischem Access kreative Selbstbestimmung?