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Öffnungszeiten

Dienstag bis Sonntag

10 bis 18 Uhr




Samstag, 6. Dezember 2025, 11 bis 13 Uhr

FEMINIST PERSPECTIVES OF DISABILITY
Programm 1 | BLICKE UND GEGENBLICKE – Looking At Othering

Feminist Perspectives | Programm 1 | BLICKE UND GEGENBLICKE – Looking At Othering

Das erste Programm widmet sich der Frage des Blicks – jenem Blick, der Menschen als „anders“ markiert, ausgrenzt und unsichtbar macht, aber auch dem selbstbestimmten Gegenblick, der Normierungen offenlegt und zurückweist. Die vier Filme untersuchen aus unterschiedlichen Perspektiven, wie Behinderung und chronische Krankheit gesellschaftlich wahrgenommen werden und wie behinderte Menschen und chronisch Kranke diese Wahrnehmungen aktiv herausfordern.

In Wo wir hingehören von Jonah Wögerbauer konfrontiert uns Xenia als taube aktivistische Person mit dem eigenen Spiegelbild: Der frisch rasierte Kopf macht das Cochlea-Implantat sichtbar – ein bewusster Akt der Selbstermächtigung, der den Blick der anderen vorwegnimmt und umkehrt. Durch ein Fotoprojekt inszeniert Xenia den Dialog mit anderen CI-Träger*innen und stellt die Frage nach Zugehörigkeit neu: Wo gehören wir hin? Wer entscheidet das? Der Titel spielt dabei nicht nur mit der ausgrenzenden Geste („da gehörst du hin" im Sinne von „hier nicht"), sondern verweist dabei auf das Hören selbst – auf die Frage, wem wir zuhören und wie.

Bist du gelähmt, der partizipative Film von Gabriele Mathes aus dem Jahr 1988, kehrt eine ableistische Redewendung des Wiener Dialekts um und macht sie zur Anklage: Bist du gelähmt, wirst du bemitleidet, bevormundet, ausgeschlossen. Der Film dokumentiert nicht nur die Forderungen behinderter Menschen nach gesellschaftlicher Teilhabe, sondern richtet den Blick zurück auf die „able-bodied" Gesellschaft. „Wir sind nicht behindert, wir werden behindert" – dieser zentrale Satz benennt die soziale Konstruktion von Behinderung und macht deutlich, dass nicht die Behinderung das Problem ist, sondern die Barrieren, die eine ableistische Gesellschaft errichtet.

Mario_n Portens Ein Rollator für sich allein nimmt Virginia Woolfs feministische Forderung nach einem „eigenen Zimmer" auf und übersetzt sie in die Lebenswirklichkeit einer Frau*, die mit ME/CFS lebt. Die Kamera richtet sich auf einen Rollator, der zum Träger einer skulpturalen Ansammlung von Hilfsmitteln wird – WC-Stuhl, Schlafmasken, Medikamentenkiste, bis hin zum Antrag auf Pflegegeld. Porten lenkt unseren Blick auf eine Krankheit, die Betroffene unsichtbar macht, weil sie in abgedunkelten, reizreduzierten Räumen verschwinden müssen. Doch statt einer Leidenserzählung bietet sie eine ironische Perspektive, die Sichtbarkeit strategisch einsetzt: Die Skulptur macht nicht nur die Last der Krankheit sichtbar, sondern auch die Privilegien, die nötig sind, um überhaupt zu überleben. Der Film ist ein Aufruf zur Solidarität und zum Verbünden.

Apolocalypse Core von RA Walden schließlich verdichtet die Thematik des Programms in knappen drei Minuten zu einer ironischen Abrechnung. Das Karaoke-Video mit seiner trügerisch heiteren Wolkenlandschaft entpuppt sich als düstere Dystopie: Während andere ihre „go bags" packen und Bunker bauen, bleibt die behinderte Person in ihrer Erdgeschosswohnung zurück – „there's no-one here to lift me from my ground floor home". Der Song offenbart die eugenetische Logik, die Krisenszenarien und Katastrophenvorsorge durchzieht: Behindertes Leben wird als verzichtbar imaginiert, als nicht überlebenswert in Zeiten der Apokalypse. „I'll die with eugenics in the warm red glow" – dieser refrainartige Vers benennt explizit, was in Diskursen über Triage, Ressourcenknappheit und Überlebenschancen oft unausgesprochen bleibt.

Die vier Filme folgen dem Leitsatz „Nothing about us without us", der das gesamte Festival prägt. Sie zeigen nicht Behinderung als individuelles Schicksal, sondern als gesellschaftliche Konstruktion, die durch Blicke, Sprache und strukturelle Ausschlüsse aufrechterhalten wird. Gleichzeitig inszenieren sie Gegenblicke, die normkritisch zurückfragen: Wer darf sichtbar sein? Wer wird gehört? Wessen Leben gilt als lebenswert? Indem sie Disability Aesthetics als produktive künstlerische Praxis nutzen, fordern diese Filme uns auf, den in den meisten gesellschaftlichen Diskursen vorherrschenden Blick zu hinterfragen und eine post-ableistische Wahrnehmung zu entwickeln.

Informationen
PROGRAMM 1
Samstag, 6. Dezember 2025
11 bis 13 Uhr
BLICKE UND GEGENBLICKE – Looking At Othering

 

  • Apolocalypse Core (RA Walden, DE/UK 2024, 3 min) OmeU (SDH)
  • Wo wir hingehören (Jonah Wögerbauer, DE 2024, 15 min) OmeU (SDH)
  • Bist du gelähmt (Gabriele Mathes, AT 1988, 18 min) OmeU (SDH)
  • Ein Rollator für sich allein (Mario_n Porten, AT 2025, 19 min) OmdU (SDH, AD integriert)

Im Anschluss: 
Gespräch mit Regisseur*innen und Darsteller*innen
Moderation: Jannik Franzen (Gespräch auf Deutsch, ÖGS)

 

Der Eintritt zur der Veranstaltung und zum Screening ist frei, benötigt wird lediglich die Online-Anmeldung für ein Ticket. Registrieren Sie sich bitte für jene Slots, an denen Sie persönlich teilnehmen können. Das Ticket können Sie an der Kassa gegen ein Bändchen tauschen, das an dem Tag auch den kostenlosen Eintritt in alle Ausstellungen des mumok ermöglicht. 

Die Organisatorinnen möchten mit dem freien Eintritt eine niederschwellige Teilnahme am Programm ermöglichen, bitten jedoch um eine freiwillige Spende für den organisatorischen Aufwand. Eine Spendenbox wird im mumok kino aufgestellt.

Eine Person schiebt einen Rollator, an dem eine Pride Flagge befestigt ist
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FILMSYNOPSEN PROGRAMM 1

Xenia betrachtet den frisch rasierten Kopf im Spiegel. Das Cochlea-Implantat ist nun offen sichtbar – ein bewusster Akt der Selbstermächtigung, der viel Mut erforderte. Als taube aktivistische Person, die in einer hörenden Umgebung aufgewachsen ist, bewegt sich Xenia zwischen zwei Welten: Mit Gebärdensprache fühlt sich Xenia am wohlsten, mit dem Vater muss jedoch lautsprachliche Kommunikation stattfinden.

Durch ein fotografisches Projekt initiiert Xenia einen Dialog mit anderen CI-Träger*innen. Gemeinsam erkunden sie Fragen der Anpassung, der Abhängigkeit und Zugehörigkeit – zwischen den Welten, zwischen verschiedenen Kommunikationsformen, zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit.

Der Film macht diese Zwischenräume zum Thema: Wessen Blick bestimmt, wo jemand „hingehört“? Wer wird gesehen, wer übersehen? Der Titel spielt dabei auf mehreren Ebenen mit Sprache und Ausschluss. „Da gehörst du hin" bedeutet im Deutschen sowohl „das geschieht dir recht" als auch räumlichen und sozialen Ausschluss – hier wollen wir dich nicht sehen, hier gehörst du nicht her. Gleichzeitig schwingt im Wort „hingehören" das „Hören" selbst mit: Wo wir hin(ge)hören, wo hören wir hin, wie hören wir zu, auf welche Weise und wem? 

Die Selbstinszenierung mit dem sichtbar gemachten CI wird so zum politischen Statement: Xenia nimmt den pathologisierenden, normierenden Blick vorweg und kehrt ihn um. Indem Xenia andere CI-Träger*innen vor die Kamera holt, wird ein Raum der Selbstrepräsentation geschaffen, in dem nicht über, sondern von und mit tauben Menschen gesprochen wird. Der Film verwebt dabei dokumentarische mit inszenierten Elementen und macht deutlich: Zugehörigkeit ist keine Frage biologischer oder technischer Gegebenheiten, sondern eine Frage der Anerkennung, des Zuhörens und der Bereitschaft, Brücken zu bauen statt Barrieren zu errichten.

Wien, 1988: Gabriele Mathes dreht einen partizipativen Film mit behinderten Menschen, die ihre aktive Teilhabe an allen gesellschaftlichen Bereichen einfordern – lange bevor Inklusion zum politischen Schlagwort wurde. Eine der Protagonist*innen ist die damals noch jugendliche Conny Scheurer, die heute als wichtige Akteurin der österreichischen Danceability-Szene und als Ausstellungskuratorin arbeitet. Ihre jüngste Ausstellung widmete sich bezeichnenderweise „der Ästhetik der Rampe" – ein Thema, das bereits in Mathes' Film angelegt ist: die ästhetische und politische Dimension von Barrieren und deren Überwindung.

Der Wiener Slang-Ausdruck „Bist du gelähmt" wird im Dialekt verwendet, um Erstaunen über einen Sachverhalt oder ein Ereignis auszudrücken – eine von vielen ableistischen Redewendungen, die im Alltag selbstverständlich verwendet werden. Mathes' Film nimmt diese Sprachwendung beim Wort und eröffnet ihr eine radikal neue Lesart: „Bist du gelähmt" wird nicht als abwertende Floskel eingesetzt, sondern als Frage umgedreht: Bist du gelähmt, wirst du anders gesehen, angeschaut, bemitleidet, bevormundet, ausgeschlossen. 

Der Film kehrt den Blick um und lässt behinderte Menschen zurückschauen auf die „able-bodied" Gesellschaft. Er dokumentiert ihr Erstaunen darüber, wie Nicht-Behinderte Behinderungen wahrnehmen – oder vielmehr: wie sie behinderte Menschen zu Objekten des Mitleids, der Bevormundung oder der Unsichtbarkeit machen. Im Zentrum steht dabei ein Satz, der zum Mantra der internationalen Behinderten-bewegung werden sollte: „Wir sind nicht behindert, wir werden behindert." Diese Formulierung benennt präzise das soziale Modell von Behinderung und macht deutlich, dass nicht körperliche oder geistige Unterschiede das Problem sind, sondern die gesellschaftlichen Barrieren, die Menschen an der Teilhabe hindern.

Mathes' Film, ausgezeichnet 1988 beim Studentenfilmfestival Wien mit dem Preis für Regie und Drehbuch, ist ein frühes und eindrucksvolles Dokument einer Bewegung, die für Selbstbestimmung, Sichtbarkeit und radikale Teilhabe kämpft. Er zeigt Wien als Schauplatz eines aktivistischen Aufbruchs und macht deutlich: Die Frage ist nicht, ob behinderte Menschen in die Gesellschaft „passen", sondern wann die Gesellschaft endlich ihre ausgrenzenden Strukturen abbaut.

Eine als Karaoke-Video getarnte Abrechnung mit der Wahrnehmung von Behinderung vor der Kulisse einer überirdischen, computergenerierten Wolkenlandschaft, bei der die Lust am Mitsingen rasch verfliegt. Während andere ihre „go bags" packen und Bunker für die Apokalypse bauen, bleibt die behinderte Protagonist*in in der Erdgeschosswohnung zurück – es gibt niemanden, der die nötige Unterstützung zur Flucht bieten könnte.

Der Song offenbart die eugenetische Logik, die Krisenszenarien und Katastrophenvorsorge durchzieht: Behindertes Leben wird als verzichtbar imaginiert, als nicht rettenswert in Zeiten der Katastrophe. „I'll die with eugenics in the warm red glow" – dieser refrainartige Vers benennt explizit, was in Diskursen über Triage, Ressourcenknappheit und Überlebenschancen oft unausgesprochen bleibt. Die trügerisch heitere Ästhetik des Karaoke-Videos steht in scharfem Kontrast zu seiner düsteren dystopischen Botschaft und macht die strukturelle Gewalt einer Gesellschaft sichtbar, die manche Leben für lebenswerter hält als andere.

packed myself a rucksack
got a go bag by the door
got a tent and a poncho and my water filtration straw

I told all my care team I don't need them anymore
you can pack your bags and get your shit ready to go
you can build your bunkers and test your ham radios
but there's no-one here to lift me from my ground floor home

so I'll die with eugenics in the warm red glow
yes I'll die with eugenics in the warm red glow
I'll die with eugenics in the warm red glow

 

 

Virginia Woolfs ikonischer Essay A Room of One's Own von 1929 wird von Mario_n Porten umgewidmet und verwandelt sich in einen Rollator, den man „für sich allein" hat. Woolfs Essay basierte auf Vorträgen, die sie 1928 an zwei Frauencolleges in Cambridge hielt. Im Zentrum steht das Verhältnis von Frauen* und Literatur, insbesondere die materiellen und gesellschaftlichen Voraussetzungen, die Frauen* brauchen, um schreiben zu können: nach Woolf „ein eigenes Zimmer und 500 Pfund im Jahr" – also finanzielle Unabhängigkeit und einen eigenen Raum. 

Dieses Bild eines Ortes, der Frauen* Rückzug, Denken, Schreiben und Für-Sich-Sein erlaubt, überlagert Porten metaphorisch mit der Aufnahme eines in einem Filmstudio aufgebauten Rollators. Dieser wird symbolisch mit der Last ihrer schweren, chronischen Erkrankung ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom) beladen, indem die Hilfsgegenstände und -mittel, die sie braucht, um ihr Leben zu bewältigen, darauf gestapelt werden. Eine Art von Freiheit wird von der Darstellung der Abhängigkeit von Instrumenten überschrieben, die das Leben erleichtern sollen: Im Voice-Over hören wir Portens Stimme: „Ich packe auf meinen Rollator meinen WC-Stuhl, meine Schlafmasken, meine Pulsuhr, meine Medikamentenbox, meinen Rollstuhl, meine Bettpfanne, meine Sonnenbrillen mit selbstgebasteltem Seitensonnenschutz…“, bis am Ende auch der „Antrag auf Pflegegeld“ gut sichtbar drangehängt wird. 

Porten erzählt auch davon, wie „Menschen durch diese Krankheit ‚unsichtbar' werden und komplett aus ihrem sozialen Leben verschwinden, weil sie die meiste Zeit allein in einem abgedunkelten, reizarmen Raum verbringen müssen." Unser Blick auf diese Krankheit trifft auf Mario_n Portens ironische Perspektive: „Anstatt einer Leidensgeschichte, wie sie derzeit häufiger in den Medien („Long-Covid"-Schicksale) erzählt wird, dient hier der Bau einer Skulptur aus medizinisch-pflegerischen Hilfsmitteln der Sichtbarmachung und Thematisierung der Krankheit. Die aufeinandergestapelten Gegenstände – WC-Stuhl, Geräuschschutz-Kopfhörer, Schlafmaske, Kompressionsstrümpfe, Medikamenten-Kiste, ein Antrag auf Pflegegeld – illustrieren die Krankheit und verdeutlichen ihre Symptome und Herausforderungen. Noch immer existieren über diese Erkrankung, die überwiegend Frauen* betrifft, viele Vorurteile und großes Unwissen in der Gesellschaft, besonders etwa unter Ärzt*innen und Sachbearbeiter*innen der Krankenkassen. (…)“ (Mario_n Porten)

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