Wiener Aktionismus
Wiener Aktionismus
Die 1960er-Jahre standen ganz im Zeichen eines radikalen künstlerischen Umbruchs. Künstler*innen suchten nach der unmittelbaren sinnlichen Erfahrung und überschritten dabei bewusst die Grenzen traditioneller Kunstformen. Vor diesem Hintergrund entstand in Wien der Aktionismus als radikale Bewegung. Deren zentrale Protagonisten Günter Brus, Otto Muehl, Hermann Nitsch und Rudolf Schwarzkogler entwickelten in Aktionen und Manifesten neue künstlerische Ausdrucksformen, mit denen sie etablierte Vorstellungen von Kunst und Körperlichkeit grundsätzlich infrage stellen wollten.
Als internationales Forschungszentrum beherbergt das mumok nicht nur bedeutende Arbeiten der Wiener Aktionisten Günter Brus, Otto Muehl, Hermann Nitsch und Rudolf Schwarzkogler, sondern auch zeitgeschichtliches Dokumentationsmaterial und zahlreiche Aufzeichnungen, Notizbücher, Aktionsfotografien, Skizzen und Korrespondenzen. Die Sammlung vermittelt die Entwicklung des Aktionismus von der anfänglichen Auseinandersetzung mit der Malerei zur Überschreitung des Tafelbildes zugunsten der Inszenierung von Geschehen in Raum und Zeit. Sie ist in ihrem Umfang weltweit einzigartig.
Otto Mühl / Otto Muehl
Otto Mühl (1925-2013), der älteste der vier Hauptvertreter des Wiener Aktionismus, wurde als 18-Jähriger während des Zweiten Weltkriegs in die Wehrmacht eingezogen. Nach Kriegsende studierte er Deutsch und Geschichte auf Lehramt sowie Kunstpädagogik. Zugleich begann er, selbst künstlerisch tätig zu werden. Bereits Anfang der 1960er-Jahre entwickelte Mühl, der als Künstler die Schreibweise Otto Muehl verwendete, ausgehend von der Überschreitung des Tafelbildes sogenannte Materialaktionen.
1970 gründete er eine Gemeinschaft, die sich zwar als Kommune bezeichnete, tatsächlich jedoch sektenartig organisiert war. Neben dem zentralen Sitz am Friedrichshof im Burgenland breitete sich diese ursprünglich als „Aktionsanalytische Organisation (AAO)“ gegründete Sekte bald über mehrere europäische Länder aus. Sie war durch eine rigide Hierarchie, ideologische Kontrolle und die systematische Auflösung familiärer Strukturen gekennzeichnet. Ende der 1980er-Jahre eingeleitete Strafverfahren führten schließlich zur Aufdeckung schwerer Missbrauchstaten, die 1991 zur rechtskräftigen Verurteilung Mühls insbesondere wegen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen sowie Drogendelikten führte. Vor diesem Hintergrund verlangen besonders die seit 1970 entstandenen Objekte heute nach einer kritischen Neubewertung und kontextualisierten Rezeption.
Das mumok sammelt seit Mitte der 1980er-Jahre strategisch Werke des Wiener Aktionismus. Darunter befinden sich auch zahlreiche Objekte von Otto Muehl. Ein aktuelles Projekt der Abteilung Sammlungen und Vermittlung, gefördert durch das österreichische Bundesministerium Wohnen, Kunst, Kultur Medien und Sport (BMwkms), ist gegenwärtig mit der umfassenden wissenschaftlichen Erfassung, Digitalisierung und Kontextualisierung des Archivs des Wiener Aktionismus betraut, das tausende Dokumente, Fotografien, Filme und Briefe der Hauptakteure umfasst. Die Ergebnisse werden künftig sowohl auf den Online-Plattformen des mumok als auch in einer speziellen Forschungspublikation zur Verfügung gestellt.
Das mumok versteht sich als Kompetenzzentrum für die kritische Auseinandersetzung mit dem Wiener Aktionismus. Transparenz und Multiperspektivität stehen dabei im Vordergrund. Durch den Fokus des aktuellen Forschungsprojekts, die aktive Einbindung externer Expert*innen sowie durch den offenen wissenschaftlichen Dialog trägt das mumok maßgeblich zur Bewahrung österreichischen Kulturerbes bei und fördert zugleich dessen kritische Kontextualisierung sowie den internationalen akademischen Austausch. Dieser Ansatz eröffnet neue Interpretationsmöglichkeiten für eine der einflussreichsten, zugleich jedoch kontroversesten künstlerischen Bewegungen des 20. Jahrhunderts und gewährleistet deren reflektierte Präsentation und Zugänglichkeit für zukünftige Generationen.
Im Sinne einer offenen und kritischen Sammlungsforschung ist es für das mumok zentral, seine Bestände anhand neuer Quellen, Kontexte und historischer Dokumente immer wieder zu untersuchen und entsprechend neu zu bewerten.
Wissenschaftliche Anfragen
Für wissenschaftliche und Rechercheanfragen stehen wir gerne zur Verfügung