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mumok collects | 1.6.2020

Donald Judd, Ohne Titel, 1989

Donald Judd, Ohne Titel, 1989

Donald Judd


Ohne Titel, 1989

Verzinktes Blech, 30 × 121 × 30 cm
erworben 1995


Räumliche Beschränkung, wie wir sie in diesen Wochen erleben, kann abstruse Handlungen provozieren (die Unterhaltsamsten davon werden in den sozialen Netzwerken verbreitet). Sie kann aber auch den Blick auf die eigene Umgebung schärfen: In dieser Wohnung, in der ich mehr Zeit verbringe als jemals sonst in meinem Alltag, der normalerweise von Büro- und Museumsräumen, Geschäften, sozialer Interaktion etc. und unterschiedlichsten Eindrücken der Außenwelt geprägt ist, verändert sich mein Blick auf die Räume, die mich hier umgeben. Ihre Größe, Form, Dimension, die Objekte darin beginne ich plötzlich bewusst wahrzunehmen – wieviel Raum nimmt dieser Tisch ein, wie sieht das Zimmer aus, wenn ich es von unter dem Tisch liegend betrachte? Was ergeben sich für neue Durchblicke und Ansichten (und ich meine nicht den Staub)? Was zu Hause ein unterhaltsames Spiel ist, löste im Museumsraum bereits in den 1960er-Jahren provokante Fragen zu konventionellen Vorstellungen künstlerischer Meisterschaft aus – und zu den grundlegenden Rezeptionsbedingungen von Kunst. Carl Andre, Donald Judd, Robert Morris, Anne Truitt und andere schufen dafür Objekte, die ohne erzählerische Inhalte eine subjektive Erfahrung im Raum provozieren sollen. 


„Drei Dimensionen sind wirklicher Raum. Dadurch ist Schluss mit dem Problem des Illusionismus [...]. Dies bedeutet die Befreiung von einem der augenfälligsten Relikte der europäischen Kunst, gegen das am meisten einzuwenden ist“, schrieb Donald Judd 1965 in dem für die Minimal Art richtungsweisenden Aufsatz „Specific Objects“. Erzählung, Illusionismus, Autorschaft und Zeitlichkeit – die Traditionen der europäischen Kunst – galt es zu eliminieren, um sogenannte spezifische Objekte zu realisieren – Objekte, die auf die reine geometrische Form, auf die pure Sichtbarkeit ihrer Gestalt reduziert sind und auf nichts Anderes als sich selbst verweisen. Damit kommen Werkstoffe in die Kunst, die bisher dort nichts verloren hatten: Industriematerialien wie Bauholz, Aluminium, Eisenblech, Gummi oder Filz. Oberflächen sind maschinell bearbeitet und zeigen keine Spuren einer künstlerischen Bearbeitung, keinen Pinselstrich oder sonst einen Hinweis auf die Handschrift des Künstlers. 


Das kleine Objekt aus verzinktem Blech (30 × 121 × 30 cm) an der Wand, das Judd 1989 entwarf, verdeutlicht die Grundsätze der Minimal Art beispielhaft. Es ist aus 12 gleich gearbeiteten Segmenten aufgebaut, die deutlich sichtbar miteinander verschraubt sind. Ihre Anordnung ergibt einen durchgehenden Schacht, der von der Seite den Blick durch das ganze Objekt möglich macht. Um all dies wahrzunehmen, Tiefen und Hohlräume zu erfassen, muss man sich bewegen und die eigene Position im Raum verändern. Dem wandernden Blick bieten sich ständig wechselnde Perspektiven, Verzerrungen und Formüberschneidungen. Das eigene Betrachten wird zu einer Aktion in der Zeit und zu einem konstruktiven Akt, in dem sich das Objekt sukzessive erschließt. Wir erfahren das Werk in Bezug auf unsere eigene Position davor und zum umgebenden Raum. Objekterfahrung und Selbstwahrnehmung erweisen sich als zwei aufeinander bezogene Phänomene.


An diesem Punkt setzte eine der bekanntesten Kritiken der Minimal Art an. Grob zusammengefasst: Der Kunstkritiker Michael Fried warf der Minimal Art in einem Essay, den er 1967 veröffentlichte, vor, dass genau diese Erfahrung der Objekte in Zeit und Raum an eine Art Aufführung erinnere, kurz: theatralisch sei. Die Objekte seien damit keine eigenständigen Kunstwerke, sondern fordern eine Auseinandersetzung, die sie zu einer Art „Gegenüber“ für die Betrachter_innen machen – was seiner These widersprach, dass ein Werk, um ein Kunstwerk zu sein, mit einem Blick erfassbar und damit unmittelbar und direkt erfahrbar sein muss. Für Fried war die „reine Selbstbezüglichkeit“, wie Judd sie in Anspruch nahm, daher eine Illusion, die sich nicht erfüllen konnte. 


In der Tat scheint es schwer, jeglichen Anknüpfungspunkt an die eigene Erfahrungswelt bei der Betrachtung auszuschalten. Was wie ein mentaler Gewaltakt erscheint, birgt aber auch die Chance, diesen Konflikt weiterzudenken. In dem Oszillieren zwischen Bedeutung und Bedeutungslosigkeit, Gebrauchsobjekt und reiner Form eröffnen sich neue Möglichkeiten: Natürlich könnte das Objekt von Judd beispielsweise auch als ein Regal dienen. Und warum nicht – ist es deswegen weniger Kunst, weil es auch einen praktischen Nutzen haben kann? 

In den 1990er-Jahren haben Künstler wie Heimo Zobernig diese Frage weitergeführt und Objekte geschaffen, die in unterschiedlichen „Displays“ an mehreren Kontexten teilhaben können, reine Form sein und Gebrauchswert haben können. Unter diesem Aspekt können Sie gerne die Möbel und Objekte in ihrer Wohnung einer neuen, kritischen Betrachtung unterziehen. Oder aber Sie warten noch, bis das mumok wieder geöffnet ist, und Sie Ihre Wahrnehmung an Untitled von Donald Judd in der Ausstellung MISFITTING TOGETHER schärfen können. 


Jörg Wolfert


Aus dem Katalog 55 Dates, Text bearbeitet und gekürzt (Hg. v. Jörg Wolfert, Verlag: Verlag der Buchhandlung Walther König Köln 2018) 


 

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Donald Judd, Ohne Titel, 1989
Foto: mumok, © Art Judd Foundation/Bildrecht, Wien

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Foto: mumok, © Art Judd Foundation/Bildrecht, Wien

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Foto: mumok, © Art Judd Foundation/Bildrecht, Wien