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a, A Novel by Andy Warhol

mumok insider


a, A Novel by Andy Warhol

Bücher hatten für Andy Warhol den Status eines Kunstwerks. Er selbst verstand sich als Autor und veröffentlichte Zeit seines Lebens eine große Zahl an Publikationen. a, A Novel ist die wortwörtliche Transkription der Kommunikation zwischen den Schlüsselfiguren Drella (2) (Warhol selbst) und Ondine sowie weiteren Protagonist*innen aus dem Umfeld der legendären Factory, aufgezeichnet auf 24 Tonbändern. Das Buch fußt auf der Idee, eine Person ununterbrochen mit dem Mikrophon zu begleiten, alle ihre Gespräche aufzunehmen und diese wortwörtlich zu veröffentlichen. In Ondine fand Warhol den passenden Charakter. Ondine, eigentlich Robert Olivio, war Schauspieler und gehörte zum inner circle der Factory. Er wird als Speedfreak und Plaudertasche beschrieben, als „unberechenbar, krawallig, im Raum treibend“(3).

Die Konversation, die nicht am Stück, sondern über eine längere Periode aufgezeichnet wurde, gibt krude Gedanken und Gespräche wider – alles, was Ondine im Stakkato oder in langen Monologen beim „Umherschwirren“ in der Factory, im Taxi, am Weg zur nächsten Party, beim Besuch der Clubs und Bordelle Manhattans, mitunter unter Drogen stehend, von sich gab. Die mitgeschnittenen Gespräche wurden von verschiedenen Personen transkribiert, die eigens für die Tätigkeit des Übersetzens engagiert wurden. Eine unter ihnen war Maureen Tucker, die Schlagzeugerin der Band Velvet Underground. Man sagt, dass Tucker sich weigerte, Schimpfwörter niederzuschreiben und diese daher im Text durch Leerstellen ersetzte. Die Mutter einer Highschool-Schülerin soll das Band, das ihre Tochter abtippte, aus Empörung über seinen Inhalt kurzerhand weggeworfen und somit einige Stunden an Konversation vernichtet haben.

Offensichtlich brachte jede der Schreiber*innen ihre individuelle Note und somit interpretative Freiheit in die Niederschrift ein. Das fertig getippte Manuskript strotze vor Fehlern – aber genau das gefiel Warhol, der eine bad novel im Sinn hatte. Folglich wurden alle inhaltlichen und formalen Inkonsistenzen beibehalten. Dazu gehörte, dass jeder Tippfehler, jede Ungereimtheit, jede Weglassung, jede formale Eigenheit, die den Schreibkräften passierte, ohne Korrektur übernommen wurde: „out of the garbage, into The Book“, wie es Billy Name, der Lektor des Buches, beschrieb. Transkription stand hier vor Narration, Zufall vor Komposition – scheinbar! In Wahrheit publizierte Warhol nie ohne Methode und solide Redaktion. Die Bücher geben nur vor, rohes, vom Zufall diktiertes Material zu sein. So gesehen sind sie, wie Nina Schleif treffend formuliert, „sorgfältig ungeplant“(4).

a, A Novel (1968) ist das zweite unter den vielen Büchern, die Warhol publizierte. Es entstand über einen Zeitraum von zwei Jahren (von 1965–1967). Das „a“ im Titel ist ein Akronym für „amphetamine“ – die bevorzugte Droge der Factory-Community. Autor*innen lassen sich gelegentlich von bereits geschriebenen Werken inspirieren. Auch a, A Novel entstand nicht isoliert, es gibt zwei Quellen: zum einen den Roman Ulysses (1922) von James Joyce, der einen Tag im Leben seiner Hauptfigur in 18 Episoden beschreibt, zum anderen Jack Kerouacs unvollständigen Roman Visions of Cody (1960), in welchem Tonbandaufnahmen eine Rolle spielen. Dass auch Warhols Künstlerroman nicht ohne Wirkung blieb, zeigt uns die folgende Publikation, mit der „Beaulieu brilliantly blow[ed] up Warhol“, wie in der Winnipeg Free Press zu lesen stand.

 
a, A Novel
by Derek Beaulieu (5)

In a, A Novel (2017) eignete sich der kanadische Autor Derek Beaulieu das oben genannte Manuskript Warhols als Rohmaterial an. In einem weiteren, radikalen Schritt löschte Beaulieu dann den gesamten Text, also alle Wörter – und somit auch die sprechenden Figuren. Nach diesem Eingriff blieb nur der formale Rahmen mit den im Originaltext vorkommenden Satzzeichen und Einfügungen der Schreibkräfte stehen: nonverbale Aktivitäten wie „pause“ „silence“ „laughing“ „car noises“ „busy-busy-busy“, erfasst von Cathy, Iris/Rosalie, Brooky, Maureen and Susan … 3499 Wörter. (6)

Im Kontext der Bedeutungsumkehr von Wort und Zeichen beanspruchen nun die Satzzeichen sowie die auf das Setting hinweisenden Begriffe die Funktion des Informations- bzw. Sinnträgers. Gleichzeitig setzt Beaulieu den Fokus auf die üblicherweise unsichtbare Leistung der Transkriptor*innen. Was also bleibt, ist ein Text, in dem Interpunktionen und Füllwörter das ursprünglich Gesprochene ersetzen, sowie ein Inhalt, der sich mittels des (autonomen) Beitrags der Schreiber*innen zu einem neuen Werk, zu Visual Poetry, orchestriert.

Simone Moser


1 a, A Novel by Andy Warhol, Grove Press, New York, 1968

2 Drella war der Nickname von Andy Warhol, zusammengesetzt aus Dracula und Cinderella.

3 Gilda Williams, „Breaking Up is Hard to Do. Men, Women, and Punctuation in Warhol’s Novel a, in: a, A Novel, Derek Beaulieu, (Übers. v. S. M.)

4 Nina Schleif, Reading Andy Warhol , Hatje Cantz, Ostfildern 2013, S. 60.

5 a, A Novel by Derek Beaulieu, Collection Uncreative Writings, JBE Books, Paris 2017.

6 Gilda Williams, „Breaking Up is Hard to Do” (s. Anm. 3)