
© Oliver Ottenschläger
© Oliver Ottenschläger
Die in Rumänien und der Slowakei aufgewachsenen Künstlerinnen Anetta Mona Chişa und Lucia Tkáčová zeichnen für die Architektur von mixed up with others before we even begin verantwortlich. Entworfen wurde sie bereits für die vorangegangene Ausstellung mit dem Titel Kollaborationen, welche die konzeptuelle und räumliche Basis der aktuellen Schau bildet. Das Künstlerinnenduo lässt in seinem Entwurf Gegensätze wie alt vs. neu, transparent vs. opak, intern vs. extern, high vs. low durch die Wahl der Materialien und die Art, wie sich diese miteinander verbinden, aufeinandertreffen. In den Ruinen dieses Displays breitet sich die neue Ausstellung dem Myzel eines Pilzes gleich aus.
In diesem Setting zeigen Chişa und Tkáčová die Arbeit Nothing Nowhere Into Something Somewhere, 2015/2022, für die sie nach dem Vorbild sibirischer Schaman*innen getrocknete Fliegenpilze (Amanita muscaria) zu sich genommen haben. „Inspiriert von der Praxis alter Wissenssucher*innen und ihrer (über)natürlichen Führer*innen“, so die Künstlerinnen, die ihr Experiment als Schritt über die Schwelle zu einem nichtmenschlichen Bewusstsein verstehen, „haben wir unseren Urin nach der Einnahme von Fliegenpilzen gesammelt und daraus Gelees hergestellt. Nach einem alchemistischen Transmutationsprozess haben wir die psychoaktiven Verbindungen in unseren Organismen aufgelöst und gefiltert und sie zu essbaren Skulpturen gerinnen lassen.“*
Myzele, deren Früchte sich im Wald als Pilze wie der Amanita muscaria zeigen, sind dem Biologen Merlin Sheldrake zufolge ein „ökologisches Bindegewebe“, das weite Teile unserer Welt miteinander verbindet. Pilze haben keine fest vorgegebenen Grenzen wie Tiere, sie sind „Körper ohne Bauplan“. Wie Pflanzen sind sie dezentral organisiert, was bedeutet, dass es auch „kein Führungszentrum, keine Hauptstadt, keinen Regierungssitz“ gibt. Man stellt sie sich besser „nicht als Gegenstand vor, sondern als Prozess – als unregelmäßige, auf Erkundung ausgerichtete Neigung“.** Ähnlich wie Pilze ihre Nahrung durchdringen, greifen Anetta Mona Chişa und Lucia Tkáčová mit Nothing Nowhere Into Something Somewhere auf die Institution des Museums zu. Ihre Intervention, die sich durch die Ausstellungsräume hindurch entwickeln zu scheint, setzt sich bis zur Fassade durch. Für die Dauer der Ausstellung steht dort nicht mehr „museum moderner kunst stiftung ludwig wien“, sondern eine Buchstabenfolge mit rätselhafter Bedeutung: „let fungi guru wisdom meet minds / turn us new“. Die neue Wortkreation aus den ursprünglichen Buchstaben beschwört die Weisheit und die verändernde Kraft jener Pilze, die die Grundlage für die ortsspezifische Intervention sind.
* Vgl. Nina Gažovičová (Hg.), a Love Can atTack a sun. Ah, atoMic I., Bratislava 2018.
** Vgl. Merlin Sheldrake, Verwobenes Leben. Wie Pilze unsere Welt formen und unsere Zukunft beeinflussen, übers. v. Sebastian Vogel, Berlin 2020.