
Jace Clayton, 40 Part Part, 2022, Ausstellungsansicht, Cleveland Public Library, Courtesy Jace Clayton © Field Studio
Jace Clayton, 40 Part Part, 2022, Ausstellungsansicht, Cleveland Public Library, Courtesy Jace Clayton © Field Studio
Marietta Kesting
Das Programm im mumok kino, das Constanze Ruhm und ich gemeinsam kuratiert haben, stützt sich auf Diskussionen, Erfahrungen, Texte und Sounds. Einige dieser, sie ließen sich vielleicht als seeds bezeichnen, sollen hier kurz vorgestellt werden.
Helmut Draxler fragt: „Wie kann ich mir sicher sein, dass meine Stimme als Voice und als Vote gehört oder erhört wird? Diese Frage deutet bereits an, dass es bei der Stimme nicht nur darum geht, dass sie erhoben wird, sondern auch, dass diesem Erheben etwas entsprechen muss, eine Art von Resonanz, die ich hier mit den Begriffen hören und erhören zu beschreiben versuche.“ (1) Sicherheit scheint vergebens, und doch ist die technische Aufzeichnung der eigenen oder anderer Stimmen ein Weg, sie zu speichern und unter Umständen über das Abspielen hörbar und insistierend zu wiederholen. Mit eben diesen Mitteln der Aufnahme und des Loops ist es auch möglich, die eigene Stimme zu einem Chorformat zu modifizieren. Gleichzeitig kennt jede*r die Erfahrung, in einer geloopten Telefonschleife zu hängen, wo die wiederholte Ansage einer Stimme schnell zu Klangfolter werden kann. Denn Stimmen, die zu uns sprechen, ohne uns zu erhören, sind unerträglich, weil die dialogische Grundsituation zerstört ist: ich spreche zu euch, ihr hört mir zu und antwortet.
Das Ohr ist – mit Nietzsche gesprochen – ein ekstatisches Organ. (2) Wir können es – anders als die Augen – nicht schließen. Die ersten Soundwahrnehmungen haben ungeborene Kinder bereits ab dem vierten Monat der Schwangerschaft, wenn ihre Ohren als erste Sinnesorgane voll ausgebildet sind.
Warum scheint dennoch die Beschäftigung mit Bildern gegenüber der mit Sounds privilegiert zu sein? Hat dies auch mit der einfacheren ökonomischen Verwertbarkeit von Bildern zu tun?
Für sich selber sprechen, eine Stimme ‚haben‘ sowie zuhören und umgekehrt gehört werden, sind wichtige Figuren in der postkolonialen Theorie, die teilweise sogar die Diskussion über Un-Sichtbarkeiten abgelöst haben oder diese ergänzen. So betont Kristina Pia Hofer ein „beyond speaking for“, indem sie stattdessen für eine situierte „Sonic Sensibility“ plädiert. (3)
Wie könnte ein dekoloniales Zuhören im Kino, als Zuhörerin eines Vortrags, eines Kunstwerks oder einer Performance aussehen? Wie könnte sich dieses Zuhören auf Stille, Echos und Motive einstellen?
Ist eine Sound-Installation ein Film ohne Bilder?
Jace Claytons Installation 40 Part Part (2022), die er am 16. November im mumok kino vorstellen wird, bezieht sich lose auf Janet Cardiffs Mehrkanal-Soundarbeit The Forty Part Motet (2001). (4) Die Zuschauer*innen sind in Claytons Projekt eingeladen zu partizipieren, nur mit ihrer Hilfe werden Sounds hörbar. Die individuelle Soundbibliothek, die fast jede von uns auf ihrem Smartphone gespeichert hat, wird hier auf die Bühne, zur öffentlichen Aufführung gebracht. Die Einzelnen können schweigen oder mitsingen.
(1) Helmut Draxler, „Eine unerhörte Subjektivität“, in: Sabeth Buchmann u.a. (Hg.). Die Stimme als Voice und Vote, Berlin: b_books, 2018 , S.49-55, hier: S.49.
(2) Friedrich Nietzsche, Also sprach Zarathustra III, S.92.
(3) Kristina Pia Hofer, „Sonic Assemblies: Artistic Historiography, Video Sound, and Representation in The Woolworths Choir of 1979”, in: Batista, Anamarija. Notions of Temporalities in Artistic Practice, Berlin, Boston: De Gruyter, 2022. https://doi.org/10.1515/9783110720921
(4) Siehe z. B. https://www.youtube.com/watch?v=38ORiaia9r8, zuletzt 30.10.2022.