
Ausstellungsansicht / Exhibition view
Enjoy – die mumok Sammlung im Wandel / Enjoy – the mumok Collection in Change
August Sander, Der Junior-Chef / Junior Boss, 1924 (1979)
Photo: Klaus Pichler, ©mumok
Ausstellungsansicht / Exhibition view
Enjoy – die mumok Sammlung im Wandel / Enjoy – the mumok Collection in Change
August Sander, Der Junior-Chef / Junior Boss, 1924 (1979)
Photo: Klaus Pichler, ©mumok
Eine kleine Kostprobe aus unserer aktuellen Ausstellung Enjoy – die mumok Sammlung im Wandel.
Der Multimediaguide des mumok ist über iOS und Android kostenlos abrufbar und so können Sie auch von zuhause aus einen Rundgang durch die Ausstellungen unternehmen. Viel Spaß!
Gratis-Download im iTunes App Store und im Google Play Store erhältlich.
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August Sander
„Der Juniorchef“, so der Titel dieser Fotografie, ist gekonnt inszeniert. Der junge Mann steht in der rechten Bildhälfte. Links von ihm bleibt alles leer, ein unbestimmter, kahler Raum. In diese Richtung geht auch sein Blick, er ist nicht in die Kamera, sondern in die Ferne gerichtet. Seine Kleidung ist gediegen, nicht extravagant: Mit Mantel, Hut und Lederhandschuhen ist er für draußen gekleidet, nicht für den Innenraum, in dem er steht. Man sieht ihn auch nicht bei der Arbeit, am Schreibtisch oder in der Fabrik, und wir erfahren nicht, welchem Unternehmen er vorsteht. Die Hände hat er auf einen Spazierstock aufgestützt. Braucht er ihn wirklich, oder ist es nur ein weltmännisches Accessoire? Seine Haltung, die Kleidung, die seinen Körper wie ein Panzer umhüllt sowie der in die Ferne gerichtete Blick vermitteln ein souveränes und selbstsicheres Auftreten, jedes Details soll demonstrieren, dass er seine berufliche und gesellschaftliche Rolle erfüllt. Wie würden wir uns heute einen Juniorchef vorstellen?
August Sander gilt als Begründer der sachlich-konzeptuellen Dokumentarfotografie in der Weimarer Republik. Sein Hauptwerk ist ein Portfolio mit Porträtfotografien mit dem Titel „Menschen des 20. Jahrhunderts“. Im Stile der Neuen Sachlichkeit, ohne Beiwerk oder Schnörkel, zeigt dieser „Atlas“ ein Panorama der Lebensverhältnisse unterschiedlicher Berufs- und Gesellschaftsgruppen. Sander selbst hat die Porträtierten in Gruppen unterteilt, nämlich „Der Bauer“, „Der Handwerker“, „Die Frau“, „Die Stände“, „Die Künstler“, „Die Großstadt“, „Die letzten Menschen“. Im Nacheinander der Fotografien wird deutlich, wie sich Haltungen, Gesten und Mimik bei den einzelnen Personen wiederholen. Ihre Eindringlichkeit macht sie geradezu zu Idealtypen der unterschiedlichen Berufsgruppen und Gesellschaftsschichten. Aber Sanders Art der Darstellung und Kategorisierung ist nicht unumstritten, denn sie folgt einer Grundidee: Man sieht den Menschen an, wer und was sie sind. Dieser physiognomische Blick wird spätestens im Nationalsozialismus zu einem unverhohlen rassistischen, der Menschen einordnet, sortiert und aussortiert. In diesem Zusammenhang erscheint vor allem Sanders letzte Gruppe problematisch, die Fotografien von Kranken, geistig behinderten Menschen und toten Körpern umfasst. Letztendlich stellt sich wieder einmal die Frage nach dem Verhältnis von Bild und Realität – genauso wie in unserer heutigen mediatisierten Welt: Welche Schlussfolgerungen ziehen wir aus Bildern, wie sehr lassen wir uns von ihnen beeinflussen oder gar in die Falle locken?