
Kunst mit Eigen-Sinn, Museum des 20. Jahrhunderts
Eröffnung / opening 28.3.1985
Johanna Dohnal, Staatssekretärin für Frauenfragen im Bundeskanzleramt / Undersecretary of State for Women‘s Affairs
Foto: Gerhard Jurkovic
Kunst mit Eigen-Sinn, Museum des 20. Jahrhunderts
Eröffnung / opening 28.3.1985
Johanna Dohnal, Staatssekretärin für Frauenfragen im Bundeskanzleramt / Undersecretary of State for Women‘s Affairs
Foto: Gerhard Jurkovic
Kunst mit Eigen-Sinn, Museum des 20. Jahrhunderts, 1985
Eröffnung / Opening, 28.3. 1985
Foto: Gerhard Jurkevic
Museum des 20. Jahrhunderts / Museum Moderner Kunst Wien, 1985
Museum of the Twentieth Century / Museum of Modern Art, Vienna
Foto: Rudolf Koller
Kunst mit Eigen-Sinn, Museum des 20. Jahrhunderts, 1985 Ansicht von oben / View from upper floor : li / left Installation Helen Chadwick; Mitte /middle: Marie Ponchelet; Nancy Spero, Koje re. / booth right: Installation Meina Schellander; daneben / adj.: Astrid Klein; Wand / wall: mural: Johanna Kandl
Kunst mit Eigen-Sinn war eine bahnbrechende internationale Ausstellung. Es wurde aktuelle Kunst von weltweit bekannten wie auch unbekannten Künstlerinnen in Wien gezeigt. Begleitet wurde die Ausstellung von einem Symposium und einem Medienprogramm mit ebenfalls internationalen Vortragenden und Künstlerinnen. Kunst mit Eigen-Sinn ist immer noch ein Meilenstein in der künstlerischen und sozialen Geschichte der Frauen.
VALIE EXPORT
Silvia Eiblmayr
Kunst mit Eigen-Sinn. Aktuelle Kunst von Frauen (29.3.–12.5.1985) war eine internationale Ausstellung im Museum moderner Kunst / Museum des 20. Jahrhunderts, Wien, die als „Gastprojekt“ dort stattfand. VALIE EXPORT, die Initiatorin des Projekts, hatte diesen Ort für die Künstlerinnen eingefordert. Der Schwerpunkt der Ausstellung lag auf aktuellen Arbeiten, vornehmlich aus den 1980er-Jahren, die teilweise von einer jüngeren Generation von Künstlerinnen stammten. Die Programmatik dieses Projekts verdichtet sich im Titel: Der „Eigen-Sinn“(1) bezog sich auf das eigenständig Obstinate und sinnlich Selbstbestimmte in der Kunst und zugleich auf den feministisch emanzipatorischen Prozess in der Gesellschaft, der mit dem Anspruch der Frauen auf Gleichberechtigung auch den Bereich der öffentlichen Institutionen umfasste. Im Titel steht „Kunst von Frauen“, nicht der damals gängige, jedoch kategorial einschränkende Begriff „Frauenkunst“, und im Konzept zur Ausstellung (Februar 1984) heißt es: „Eigensinn als Widerstand, als Durchsetzungsvermögen. Eigensinn als Form der Aneignung des Rechts auf eigene Repräsentanz und eigenen Ausdruck, eine eigene Erlebniswelt, die eigene Geschichte“.
VALIE EXPORT hatte zehn Jahre zuvor die wegweisende Ausstellung Magna. Feminismus: Kunst und Kreativität in der Galerie nächst St. Stephan (7.3.–5.4. 1975) realisiert. Ihre konsequente, mit viel Widerstand konfrontierte Forderung an die Politik war dann für die Frauen, die Künstlerinnen, das Museum des 20. Jahrhunderts zu reklamieren, jene in den 1970er-Jahren maßgebliche österreichische Kunstinstitution, die bis dahin fast ausschließlich Männern vorbehalten war.(2) Definitive Unterstützung dafür gab es jedoch erst durch Johanna Dohnal, die seit 1979 Staatssekretärin für allgemeine Frauenfragen war, wodurch das internationale Ausstellungsprojekt schließlich 1983 auch in Angriff genommen werden konnte.(3)
Das Konzept wurde im Team(4) entwickelt. Die Internationalität des Ausstellungskonzepts beruhte auf umfassenden Recherchen in Europa, Nordamerika, Japan und Australien. Dort, wo die Politik es zuließ, wurden auch Künstlerinnen aus dem „früheren Osten“ eingeladen, aus Polen, der CSSR, Ungarn und Jugoslawien. Insgesamt nahmen 165 Künstlerinnen teil, davon 73 in der Ausstellung, 44 im Video- und 48 im Filmprogramm.(5) Eines der Anliegen des Projekts war es auch, möglichst umfassende Informationen zur künstlerischen Tätigkeit von Frauen zu sammeln und das Kennenlernen dieser Kunstwerke zu ermöglichen, was in Zeiten vor dem Internet und sogar noch vor dem Fax ganz anders bewertet werden muss.
Es gab bewusst keine Vorgabe eines „feministischen“ Themas und schon gar nicht die Suche nach einer „weiblichen Ästhetik“ (was nachträglich vielfach kritisiert wurde). Vielmehr ging es darum, in der Mitte der 1980er-Jahre den neuen Strategien von Frauen und ihren differenzierten Formen der künstlerischen Auseinandersetzung mit soziopolitischen Kontexten nachzugehen und somit deren – auch implizite – geschlechtsspezifische Bedeutungen neu auszuloten. Die Ausstellung hat es erwiesen: Ob in der Malerei und in der Zeichnung, in der Fotografie, im Video und im Film oder in der Performance, die Beschäftigung mit Körperbildern und Körperpolitik – im weitesten Sinn mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit von Frauen und genderbedingten Zuweisungen – war für die Künstlerinnen immer noch vorrangig. Ohne dass dies auf alle Arbeiten zutrifft, was diese Auseinandersetzung zunehmend kennzeichnet, sind die komplexer werdenden Rückbezüglichkeiten auf die verwendeten Medien der Repräsentation selbst, auf deren Apparaturen und Funktionsweisen und die damit verbundenen Formen der Wahrnehmung.
Den entscheidenden Charakter erhielt die Ausstellung durch Elsa Prochazka, die für die zahlreichen und vielfach als Installation konzipierten Arbeiten in dem Glas- und Stahlpavillon des 20er-Hauses eine eigene Architektur schuf. Die vorhandenen Stellwände mussten verwendet werden, aber sie brach „mit der klassischen Symmetrie und Ausstellungstechnik der Moderne“ und entwickelte eine „‚städtebauliche‘ Wegeführung und Regie der Wahrnehmung“(6), zu der auch eine gebogene, aus Ziegeln errichtete Wand gehörte, die auf der konvexen Seite ein Fresko erhielt(7) und auf der konkaven Seite die Abschlusswand für den ausgesparten Vortrags- und Performanceraum bildete.
Die Ausstellung und das Symposion, bei dem sehr unterschiedliche Positionen zu Kunst und Feminismus vertreten wurden, waren ein absoluter Publikumserfolg und der Katalog(8) sehr schnell vergriffen. Das mediale Echo war groß und spiegelte die ganze Ambivalenz, mit der das Projekt rezipiert wurde; ein Großteil war positiv, anderen fehlte der „lila Faden“, wieder anderen (Der Spiegel) die Einsicht in die Notwendigkeit einer solchen Ausstellung generell. Der heutige Blick auf die Liste der Künstlerinnen und auf ihre Arbeiten zeigt, wie weit das Konzept von Kunst mit Eigen-Sinn in die Zukunft gewiesen hat. (9)
Silvia Eiblmayr war Ko-Kuratorin von Kunst mit Eigen-Sinn. Sie ist Kunsthistorikerin und Kuratorin, lebt und arbeitet in Wien.
(1) Oskar Negt, Alexander Kluge, Geschichte und Eigensinn, Zweitausendeins, Frankfurt 1981. Eine symbolische Figur ist für die Autoren „Das eigensinnige Kind“ in einem Grimm’schen Märchen, dessen Eigensinn dem lieben Gott nicht gefiel und er es sterben ließ. Aber „als es nun im Grab versenkt (...) war, „so kam auf einmal sein Ärmchen immer wieder hervor“. Erst als die Mutter das „Ärmchen mit der Rute“ schlug, fand das Kind seine Ruhe. (Brüder Grimm. Kinder- und Hausmärchen, „Das eigensinnige Kind“, Band 2, Reclam, Stuttgart 1980, S. 156.
(2) Bei der Eröffnungsausstellung des Museums des 20. Jahrhunderts (1962), die von Werner Hofmann konzipiert wurde, betrug das Verhältnis Künstler zu Künstlerinnen 210:10. Nach ca. 86 Einzelausstellungen von Männern im Hauptraum wurde dies 1984 zum ersten Mal einer Künstlerin zugestanden: Maria Lassnig.
(3) Unter Johanna Dohnal wurde für das Jahr 1984 ein konzertiertes Förderungsprogramm für Künstlerinnen mit dem Titel „Brennpunkt. Kunst von Frauen“ gegründet, innerhalb dessen Rahmen sowohl öffentliche Institutionen als auch private Galerien Subventionen erhielten. Kunst mit Eigen-Sinn hätte im Oktober 1984 gleichzeitig mit den anderen Ausstellungen stattfinden sollen, musste aber (ironischerweise) wegen eines Brandes im Museum des 20. Jahrhunderts auf das Frühjahr 1985 verschoben werden.
(4) VALIE EXPORT hatte mich als Ko-Kuratorin mit einbezogen, Heidi Grundmann kuratierte das Videoprogramm, EXPORT alleine das Filmprogramm. Cathrin Pichler war für die Textredaktion des Katalogs sowie für das zur Ausstellung veranstaltete Symposion verantwortlich, Elsa Prochazka für die Ausstellungsarchitektur. Als Gäste in einem Büro des Museums moderner Kunst im Palais Liechtenstein arbeiteten Monika Prischl-Maier und ich an der Organisation und Umsetzung der Ausstellung. Ebenfalls im Team waren Eva Weiss (konzeptuelle Mitarbeit) und Christine Strasser (organisatorische Mitarbeit).
(5) Das Film- und zu einem Großteil auch das Videoprogramm wurden im Kino des Museums des 20. Jahrhunderts gezeigt. Aus technischen und finanziellen Gründen war es damals nicht möglich, alle Videoarbeiten direkt in die Ausstellung zu integrieren.
(6) Elsa Prochazka, „Ausstellungsarchitektur 20er-Haus“, 1984; in: Elsa Prochazka (Hg.): elsa prochazka architectureality, Birkhäuser Verlag GmbH, Basel 2019.
(7) Das Fresko, das nach Ende der Ausstellung zerstört werden musste, gestaltete Johanna Kandl.
(8) Silvia Eiblmayr, VALIE EXPORT, Monika Prischl-Maier (Hg.), Kunst mit Eigen-Sinn. Aktuelle Kunst von Frauen. Texte und Dokumentation, Katalog, Löcker Verlag, Wien 1985.
(9) Alle Unterlagen zu Kunst mit Eigen-Sinn befinden sich im VALIE EXPORT CENTER Forschungszentrum für Medien- und Performancekunst in Linz.