
© Mikki Muhr
© Mikki Muhr
Am 18. Dezember 2022 lädt Mikki Muhr die Kunstwissenschafter*in Susanne Lummerding in der Ausstellung Das Tier in Dir zu einem Live-Gespräch über Differenzen, Normierungen und Machtverhältnisse. Out of the Box bietet hier schon einen kleinen Vorgeschmack.
Mikki Muhr: Ich freue mich schon sehr auf unser Gespräch, weil Du sowohl als Theoretiker*in mit Fokus auf Kunst und Medien im Verhältnis zu Politiken des Zusammenlebens als auch als Praktiker*in und Coach im Kontext von macht- und diskriminierungskritischer Bildungs- und Beratungsarbeit wichtige Blickwinkel in die Ausstellung Das Tier in Dir bringen kannst. Als Titel unseres Gesprächs hast Du eine kleine, aber bedeutsame und vielleicht irritierende Abwandlung des Ausstellungstitels vorgeschlagen: Tier* in Dir* – also den Ausstellungstitel ohne Artikel dafür mit Asterisken, dem „Sternchen“, das seit Jahren als Form einer nicht-binären, geschlechtergerechten Sprache genutzt wird und nach wie vor für kontroverse Debatten sorgt.
Susanne Lummerding: In unserem gemeinsamen Nachdenken in der Gesprächsplanung waren es vor allem die Fragen nach den Grenzziehungen, die mich beschäftigt haben: Was ermöglichen sie und was verhindern sie auch? Was bezeichnet zum Beispiel dieses „uns“ beziehungsweise das „wir“? Welche Funktion hat es, welche Machtverhältnisse werden damit abgesichert – was ist also das Politische daran und was heißt das für uns? Die Verwendung des Asterisks scheint mir ein ganz brauchbarer Impuls zum Weiterdenken zu sein, indem er – gerade hier an dieser bislang ungebräuchlichen Stelle auf die Gemachtheit von Unterscheidungen und Kategorisierungen verweist.
Mikki Muhr: Das heißt also, ausgehend von der im Titel der Ausstellung anklingenden Unterscheidung und Transgression von Tier und Mensch (dir/mir – „Das [Tier in] Dir“ beinhaltet ja auch die Frage nach „mir“) können wir hier ganz grundsätzlich über Kategorisierungen, Normierungen nachdenken?
Susanne Lummerding: Ja, denn das bringt uns zu der Frage, wie unterschiedliche Machtverhältnisse in dieser Benennungspraxis des Normierens zusammenwirken. Wer gibt wem einen Namen? Wer wird betrauert? Wer wird mit Privilegien der Selbstverständlichkeit bzw. Norm(alität) ausgestattet? Wer wird als „ab-norm“ markiert? Und damit kommen wir auch zu einer Diskussion darüber, wie Machtverhältnisse (heteronormativ-sexistische, rassistische, ableistische, klassistische) hier intersektional zusammenwirken. Und das nicht nur dort, wo explizit darauf Bezug genommen wird, wie etwa durch Frida Orupabo in ihren Fotocollagen, die in der Ausstellung zu sehen sind.
Mikki Muhr: Geht es also darum, die jeweiligen Hintergründe von Unterscheidungen und Kategorisierungen kritisch zu befragen? Zuerst überhaupt mal festzustellen, dass sie gemacht sind und dann zu fragen, wofür sie gemacht sind?
Susanne Lummerding: Ja, genau in diesem Sinn ist die Frage nach Hintergründen und Funktion immer eine entscheidend politische. Sie ist die Voraussetzung für Veränderungen. Denn mit ihr kommt überhaupt die grundsätzliche Veränderbarkeit in den Blick. Und wir können so die Art und Weise, wie wir Welt und Wirklichkeit begreifen, verstehen, organisieren und strukturieren und bezüglich der jeweiligen Interessen, Perspektiven und Positioniertheiten befragen. Das ist umso wichtiger, als die unterschiedlichen Positioniertheiten – die jeweiligen Verortungen beziehungsweise Zuordnungen in Machtverhältnissen – oft ausgeblendet bleiben, wodurch bestehende Machtverhältnisse gleichzeitig stabilisiert werden. In gewisser Weise thematisieren das, wie ich finde, Manuela Ammer und Ulrike Müller auch mit ihrem Raumkonzept. Mit den Wandmalereien von Ulrike Müller und der Ausstellungsarchitektur von Klemen Breitfuss verweisen sie auf Wahrnehmungstrukturen, auf Leerstellen, auf Ausgeblendetes. Das ist in der Ausstellung räumlich und körperlich erfahrbar.
Mikki Muhr: Ja, ich finde, dies machen die Wandmalereien von Ulrike Müller durchaus wahrnehmbar. Die von ihr aufgemalten Köpfe von Tierwesen sind aus einer „unmöglichen“ Perspektive projiziert. Wenn wir in der Ausstellung stehen, können wir immer nur Teile davon wahrnehmen. Wir sehen also abstrakte Formen. Nie die ganze Figur. Es gibt hier keinen Blick auf die ganze dargestellte Figur. Auch in dem Sinne, dass es keinen alles sehenden Überblick geben kann, es immer Leerstellen gibt. Das klingt ja erst einmal etwas enttäuschend – dass ich diese Partialität anerkennen muss. Gleichzeitig scheint sich mir aber genau hier eine Handlungsmöglichkeit zu ergeben.
Susanne Lummerding: Mehr noch: die Bedingung für Handlungsmöglichkeit. Dass es immer Leerstellen gibt, also keine „Vollständigkeit“ oder Universalität (etwa einer Perspektive, einer Bedeutung, einer Repräsentation), bietet die Voraussetzung für die Fortsetzung der Prozesse des Bedeutens, Neudefinierens, Veränderns. Partialität ist also unweigerlich verknüpft mit Pluralität – und mit kontinuierlichen Revisions- und Ausverhandlungsprozessen, die das Verändern von Perspektiven, (Identitäts-)Positionen, Realitäten erfordern und ermöglichen. Auch die verschiedenen Gespräche in der Ausstellung sind Teil davon.
Mikki Muhr: Schon jetzt klingen sehr spannende Überlegungen und Fragen an – auch in Bezug auf die erwähnten Kunstwerke, die Wandmalereien, die Ausstellungsgestaltung und darüber hinaus. Ich freue mich schon darauf, die unterschiedlichen räumlichen und körperlichen Erfahrungen mit den Besucher*innen in der Ausstellung Das Tier in Dir zu diskutieren. Wir laden alle Interessierten sehr herzlich zum Gespräch Tier* in Dir* im mumok ein!