
Ausstellungsansicht / Exhibition view Enjoy – die mumok Sammlung im Wandel | Enjoy – the mumok Collection in Change
Robert Delaunay, Relief blanc, 1936
Photo: Klaus Pichler, © mumok
Ausstellungsansicht / Exhibition view Enjoy – die mumok Sammlung im Wandel | Enjoy – the mumok Collection in Change
Robert Delaunay, Relief blanc, 1936
Photo: Klaus Pichler, © mumok
Ausstellungsansicht / Exhibition view Enjoy – die mumok Sammlung im Wandel | Enjoy – the mumok Collection in Change
Robert Delaunay, Relief blanc, 1936
Photo: Klaus Pichler, © mumok
Ausstellungsansicht / Exhibition view Enjoy – die mumok Sammlung im Wandel | Enjoy – the mumok Collection in Change
Robert Delaunay, Relief blanc, 1936
Photo: Klaus Pichler, © mumok
Ausstellungsansicht / Exhibition view Enjoy – die mumok Sammlung im Wandel | Enjoy – the mumok Collection in Change
Robert Delaunay, Relief blanc, 1936
Photo: Klaus Pichler, © mumok
Robert Delaunay
Relief blanc, 1936
Gips, Kasein auf Metall, 204 × 109 cm
Erworben 1962
In der Ausstellung Revue Moderne (kuratiert von Heike Eipeldauer) im Rahmen von Enjoy – die mumok Sammlung im Wandel ist derzeit ein Werk von Robert Delaunay zu sehen, das bereits unter Gründungsdirektor Werner Hofmann in die mumok Sammlung gekommen ist.
In seinem Relief blanc von 1936 erschafft Robert Delaunay ein Bild einzig und allein mithilfe des Lichts, ohne jegliche Hinzufügung von Farben. Vertiefungen und Grate, Erhebungen und Einkerbungen, Zonen von grober Körnung, feiner Glätte und zarter Brüchigkeit erzeugen die differenzierte Struktur des Reliefs. Helle konzentrische Kreise und Bögen werden durch feine Einkerbungen gezeichnet. Das Spiel des Lichts auf den grob gekörnten Oberflächen bringt dunklere Flächen hervor, die sich von den Kreisformen abheben und dennoch auch Teile von ihnen darstellen. Die Komposition von einander tangierenden, schneidenden und überlappenden Formen entlang einer scharf geschnittenen diagonalen Achse ist von einer harmonischen Dynamik geprägt, die auch typisch ist für Delaunays malerisches Werk. Weder gegenständliche Motive noch klar umrissene geometrische Körper sind zu sehen. Die Formen wirken vielmehr wie Lichtkörper, die aus sich selbst heraus und in ihrem rhythmischen Zusammenspiel in Erscheinung treten.
Schon in den Jahren 1912 und 1913 hatte Delaunay Bilder gemalt, die nichts als die Farbflächen darstellen, aus denen sie sich zusammensetzen. Damit gehören er und seine Frau Sonia Delaunay-Terk zu den Wegbereiter*innen der ungegenständlichen Malerei. In engem Austausch miteinander entwickelt das Künstlerpaar kreisförmige Kompositionen, die auf dem Prinzip des Simultankontrastes der Farben basieren. Simultan – das ist in der Zeit unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg eines der weltbewegenden Modewörter. Im Kubismus steht die Gleichzeitigkeit von mehreren verschiedenen Ansichten im Zentrum des Interesses; futuristische Maler*innen und Bildhauer*innen, aber etwa auch Marcel Duchamp arbeiten an simultanen Darstellungen von sukzessiven Bewegungszuständen. Robert Delaunay will noch einen Schritt weitergehen. Ihm schwebt eine ganzheitliche Vision vor – eine Zusammenführung der Bewegung aller Teile der visuell wahrnehmbaren Welt in einer übergreifenden Einheit. Dabei will er weder auf die Linie als Hilfsmittel zurückgreifen noch auf die Darstellung geometrischer Körper in einem virtuellen Bildraum. Alleine die kontrastreichen Beziehungen der simultan wahrgenommenen Farbflächen sollen für Rhythmus und Bewegung in der Malerei sorgen. Delaunay ist glühender Modernist. Er glaubt daran, dass die technischen Neuerungen auch gesellschaftlichen Fortschritt mit sich bringen und ist fasziniert von der Beschleunigung, die das Leben in den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts erfahren hat. Seine Malerei soll die Bewegung und den Rhythmus des modernen Lebens einfangen. In den Akkorden der Farbkontraste seiner Bilder drückt sich Delaunays humanistische Vision von einem konstruktiven und harmonischen gesellschaftlichen Miteinander aus.
Das konstruktive Moment der Farben und ihrer Kontraste betonend, spricht Delaunay in den Texten, die er über seine Kunst verfasst, von der „Architektur aus Farben“. Ab 1930 beginnt der Maler mit neuen Techniken zu experimentieren, um Variationen in Textur und Farbigkeit zu erlangen. Zu diesem Zweck mischt er etwa Sand, Kork, Gips, Kaseinleim und Sägespäne in die Farbe. Im Zusammenhang mit diesen Untersuchungen sind auch die teils mehrfarbigen, teils monochromen Reliefs zu sehen, an denen Delaunay ab Mitte der 1930er-Jahre arbeitet. Diese neu hinzukommende bildhauerische Dimension in seiner Arbeit weist, genauso wie die großen Formate, derer er sich ab dieser Zeit bedient, in die Richtung eines neuen künstlerischen Interesses – der Integration von Malerei, Skulptur und Architektur. „Ich mache Revolution auf den Wänden“, proklamiert Delaunay in einer seiner zahlreichen Schriften und meint damit mehr als das Sprengen von künstlerischen Genregrenzen. Die Synthese der gestalterischen Mittel soll der Malerei dazu verhelfen, in öffentliche Räume vorzudringen, um in diesen ihre transformatorische Wirkung zu entfalten und „eine große kollektive Idee auszudrücken“.
Das Spiel des Lichts auf der Oberfläche des Relief blanc folgt den gleichen Prinzipien, die Delaunay zur Konstruktion seiner abstrakten Farbkompositionen heranzog. An die Stelle der Farbkontraste tritt das Verhältnis der verschiedenartig beschaffenen Oberflächen zueinander. Die unterschiedlich gestalteten Texturen treten zueinander in wechselhafte Beziehungen. Harte Schnitte bringen mit ihren dunklen, scharfen Schlagschatten Achsen hervor, um die herum sich die Segmente der kreisförmigen Gebilde anordnen. Aus dem Ineinandergreifen dieser Kreissysteme resultiert weniger die Illusion eines Hintereinanders in einem Raum, dessen Tiefe sich bestimmen lässt, als vielmehr ein unbestimmbarer atmosphärischer Eindruck sowie ein dynamisches Verhältnis der Formen zueinander. An den Bildrändern abgeschnitten, scheinen die Kreisformen Teile eines größeren Ganzen zu sein, einer umfassenderen Kraft oder Energie. So stehen sie stellvertretend als Ausdruck einer relationalen Rhythmik, die den gesamten Kosmos durchwirkt.
Michael Wonnerth-Magnusson
Aus dem Katalog 55 Dates, Text bearbeitet und gekürzt (Hg. v. Jörg Wolfert, Verlag: Verlag der Buchhandlung Walther König Köln 2018)