Haus-Rucker-Co
Laurids Ortner / Klaus Pinter / Günter Zamp Kelp
Mind Expander II, 1969
Polyester, Farbe, Acrylglas, Aluminium, Metallteile verchromt, Elektrik, 170 × 110 × 120 cm
Leihgabe der Artothek des Bundes, seit 1969
„Zukunft ist für viele Leute furchterregend. Voll grausamen Robotern, geheimnisvollen Strahlen und künstlichen Katastrophen. Zukunft wie wir sie sehen ist hellgelb. Wie Vanille-Eiscreme. Erfrischend, gut riechend, weich.“(1)
Mit großem Zukunftsoptimismus und dem Anspruch, die Gesellschaft verändern zu wollen, verlassen in den späten 1960er-Jahren Künstler*innen und Architekt*innen ihre Ateliers, um im Kollektiv an ihren utopischen Ideen zu arbeiten. Im Sommer 1967 schließen sich die beiden Architekten Laurids Ortner und Günter Zamp Kelp sowie der bildende Künstler Klaus Pinter unter dem Namen Haus-Rucker-Co zusammen, um, wie der Name bereits andeutet, Architektur „weiterzurücken“, damit Platz für neue Gestaltungsmöglichkeiten geschaffen werden kann.(2) Charakteristisch für die Arbeitsweise und die interdisziplinären Arbeiten von Haus-Rucker-Co sind das Unkonventionelle, die Schaffung neuer Raumkonstellationen und die Erfindung neuer Objekte, wodurch Perspektiven für ein verändertes Bewusstsein und Lebensgefühl eröffnet werden sollen. Um mit ihren Ideen ein breites Publikum zu erreichen, nimmt das Kollektiv noch vor der offiziellen Gründung mit dem visionären Entwurf Mind Expander an einem internationalen Designwettbewerb teil. Dieser setzt sich aus einer Sitzschale für zwei Personen und einem helmartigen Ballon über den Köpfen zusammen und soll durch intensive visuelle und akustische Reize (noch) unbekannte psychische Erlebnismöglichkeiten erschließen.
In einer zweiten Version des Mind Expander aus dem Jahr 1969, die aktuell in der Ausstellung Abstraktion. Natur. Körper (kuratiert von Rainer Fuchs) im Rahmen von Enjoy – die mumok Sammlung im Wandel zu sehen ist, ist der überdimensionale Helm mit individuell aufklappbaren Visieren zur Gänze aus blauem Plexiglas gefertigt. Die durch die Hartschalensitze vorgegebene Sitzposition und der Plexiglashelm sollen die zwischenmenschliche Beziehung fördern.(3) Auf den Metallflächen auf den Außenseiten des Helms und an den Metallringen auf der Helminnenseite fließen elektronisch gesteuerte Lichtpunkte zu einem gemeinsamen Mittelpunkt, der sich auf Augenhöhe der Sitzenden befindet. Die optisch-akustischen Effekte – etwa der Lichtbänder sowie rhythmischer Tonfolgen – und die völlige Abschottung von der Umwelt sollen laut Haus-Rucker-Co einen meditativen Zustand erzeugen und das Bewusstsein erweitern.(4)
Der Doppelschalensitz gibt einen engen physischen Kontakt, ja eine körperliche Verschränkung beider Nutzer*innen vor. Im Zentrum des Mind Expander II, der dem in den 1960er-Jahren von Haus-Rucker-Co entwickelten Mind Expanding Program zugehört, stehen eine veränderte Raumwahrnehmung und Bewusstseinserweiterung. Mit einer Reise ins Ich soll der sogenannte „Inner-Space“ erreicht werden. Als „Fahrten in den Weltraum der Seele“ betitelt der Islamwissenschaftler und Drogenforscher Rudolf Gelpke seinen Erfahrungsbericht über Halluzinationen unter dem Einfluss von LSD.(5) Nach der Erweiterung des Erlebens der inneren und äußeren Welt suchen auch der Schriftsteller Aldous Huxley und der Autor, Psychologe und Hippie-Guru Timothy Leary, die mit bewusstseinserweiternden Drogen experimentieren und zu den Leitfiguren der Gegenkultur der 1960er-Jahre zählen. So kann der Mind Expander als künstlerischer Ersatz für gesundheitsgefährdenden Drogenkonsum gesehen werden, denn mithilfe dieser Kommunikationsplastik sollen lediglich optische, akustische und haptische Reize intensiviert werden.
Der Beginn der Raumfahrt und die erste Mondlandung liefern Bilder einer Technologie, die für Haus-Rucker-Co außergewöhnliche Impulse verspricht. Der Mind Expander gehört diesen experimentellen Strömungen der 1960er-Jahre an, bei denen es gilt, sich selbst zu erforschen und physische sowie psychische Kräfte zu entdecken und zu entwickeln.
Marlene Obermaier
(1) Dieter Bogner (Hg.), Haus-Rucker-Co. Denkräume – Stadträume. 1967–1992, Ausst.-Kat. Kunsthalle Wien, Klagenfurt: Ritter 1992, S. 35.
(2) Der Name Haus-Rucker-Co bezieht sich laut Günter Zamp Kelp ebenso auf den Hausruck in Oberösterreich, die Heimatregion des Kollektivs. Günter Zamp Kelp, „Journal“, in: Heinrich Klotz (Hg.), Haus-Rucker-Co. 1967 bis 1983, Braunschweig, Wiesbaden: Viehweg & Sohn 1984, S. 31–68, hier S. 32.
(3) „Die Sitzschale fixiert zwei Personen in einer bestimmten Position. Eine niedrige Sitzfläche ermöglicht das Sitzen mit leicht geöffneten, etwas angewinkelten Beinen. Das rechte Bein liegt tiefer, der Oberschenkel lehnt mit seiner Außenseite an einer Stufe, die in eine zweite, um Schenkelstärke erhöhte Sitzfläche überleitet. Wer hier sitzt, hat seine Beine über diesen Schenkel zu schlagen, der nur leicht berührt, aber nicht belastet wird. Beide Sitzpositionen sind geringfügig zueinander gedreht.“ Laurids Ortner, zit. in: Heinrich Klotz (Hg.), Haus-Rucker-Co (wie Anm. 2), S. 76.
(4) In den späten 1960er-Jahren sind in der Biophysik Experimente zur Beeinflussung der menschlichen Psyche durch visuelle, akustische oder haptische Reize weit verbreitet. Vgl. hierzu Dieter Bogner, „Haus-Rucker-Co. Denkräume – Stadträume“, in: Ders. (Hg.), Haus-Rucker-Co. Denkräume – Stadträume (wie Anm. 1.).
(5) Vgl. Elke Beilguß, Kunststoff als Design-Material: Wohnkultur im Stil der 1968er, Hamburg: Dimplomica 2016, S. 73.
Aus dem Katalog 55 Dates, Text bearbeitet und gekürzt (Hg. v. Jörg Wolfert, Verlag: Verlag der Buchhandlung Walther König Köln 2018)