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enjoy picks: Carolee Schneemann

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enjoy picks: Carolee Schneemann

Eye Body. 36 Transformative Actions for Camera, 1963
10 SW-Fotografien von Erró, auf Karton kaschiert
Leihgabe der Österreichischen Ludwig-Stiftung, seit 1993

Betrachtet man die Fotografien der Serie Eye Body, wird eines sehr schnell klar: Es handelt sich hier um eine selbstbewusste Frau, die sich und ihren Körper ohne Scham inszeniert. Alle Bilder zeigen die Künstlerin Carolee Schneemann nackt und bemalt in ihrem damaligen Atelier in New York. Selbst für die aufgeschlossene Kunstmetropole ist die offene Zurschaustellung von Weiblichkeit ein Schock. Der nackte weibliche Körper hat als Objekt der Begierde in der Kunst eine lange Tradition, die bis in die frühen Hochkulturen zurückreicht, doch bislang war er nur passiv verfügbar gewesen. Hier aber verfügt die Frau selbst über ihre Nacktheit und Schneemann schafft eine Serie von gänzlich neuen Aktdarstellungen, die zu den ersten visuellen Dokumenten feministischer Kunst zählen.

Doch was für Schneemann ein Moment der Selbstermächtigung ist, wird vom zeitgenössischen Publikum als pornografisch empfunden. Kritiker*innen weisen ihre Arbeit mit den Worten zurück: „If you want to run around naked, don’t bother the art world.“#1# Während ihres Studiums hat Schneemann besonders zu kämpfen, denn Frauen sind zwar beliebte Aktmodelle, finden aber als Künstlerinnen kaum Beachtung. Ihr wird sogar geraten: „Leg den Pinsel weg!“ Doch sie lässt sich nicht beirren. Erfahrungen, die sie macht, als sie selbst als Aktmodell posiert, vertiefen ihr Interesse an den Unterschieden männlicher und weiblicher Sichtweisen und sie beginnt, Sexualität, Geschlechterrollen und gesellschaftliche Tabus gezielt zu erforschen.

Nacktheit spielt auch bei den gerade aufkommenden Happenings und Performances eine zentrale Rolle. Über die Einbeziehung des Körpers wird hier versucht, die Trennung von Kunst und Leben aufzuheben und das Private als eine gesellschaftlich wichtige öffentliche und politische Angelegenheit zu begreifen. Schneemann nimmt schon früh an Happenings teil, vereinzelt wirkt sie auch aktiv an diesen mit. Im Bestreben, den nackten weiblichen Körper von der Leinwand zu holen, geht sie ebenfalls Schritt für Schritt über die Malerei hinaus.

1962 beginnt sie, ihr Atelier in ein großes Environment zu verwandeln. Zunächst integriert sie Gegenstände aus dem Alltag in ihre Bilder, die sie mit heftigen Pinselstrichen übermalt. Neben Textilien, Flaschen und Lichterketten werden auch Skelette von Regenschirmen als skurrile Objekte eingebaut, die durch Motoren bewegt werden. Immer mehr arbeitet sie mit dem Einsatz des ganzen Körpers und das Atelier füllt sich mit rhythmisch strukturierten Farbwänden. Schließlich entscheidet sich Schneemann im Dezember 1963, ihren eigenen Körper zum Teil des Kunstwerks zu machen.

Von ihrem damaligen Partner, dem isländischen Künstler Erró, lässt sie sich inmitten ihrer Arbeiten zwischen Tierfellen, Abfall und Werkzeugen fotografieren. In diesen Transformative Actions for Camera inszeniert sich Schneemann in archaisch-erotischen Posen innerhalb ihres Atelier-Dschungels, wobei sie mit verschiedenen Materialien und eigenen Kunstwerken hantiert. Nicht nur die Bilder und ihre Umgebung, sondern auch sie selbst ist mit Farbe, Fett und Kreide bemalt. Auf diese Weise wird ihr eigener Körper zum Material und Teil des Bildes. Dabei lassen sich Organisches und Anorganisches in den Schwarz-Weiß-Schattierungen der Fotografie kaum noch unterscheiden. Haare, Schnüre und Plastikfolien gehen direkt in die Bildtafeln über, sodass die Künstlerin an mancher Stelle fast zum Bestandteil ihrer Umgebung wird. In anderen Fotografien rückt sie ganz nah an die Kamera heran und adressiert uns mit direktem Blick aus dem Bild heraus an. Immer wieder sind Glasscherben und zerbrochene Spiegel zu sehen, die nicht nur optische Verzerrungen verursachen, sondern direkt neben der nackten Haut platziert deren Verletzlichkeit in Erinnerung rufen. Die Reihenfolge der Bilder ist zwar nicht festgelegt, allerdings gibt Schneemann die Anweisung, dass sich Nah- und Ganzkörperaufnahmen abwechseln sollen.

Besondere Aufmerksamkeit erweckt eine Frontalansicht, die Schneemanns ausgestreckten Körper mit zwei sich windenden Schlangen zeigt. Die explizite Selbstinszenierung zeigt nicht nur ihre Geschlechtsteile, sondern auch Erotik und Lust. Wir sehen einen Körper, der begehrt werden will und der auch selbst begehrt. Über die Aneignung ihrer Nacktheit definiert sich die Frau als Subjekt neu und demonstriert ihren künstlerischen und sexuellen Willen. Als Künstlerin und als Darstellerin ist Schneemann beides, Bildproduzentin und Darstellungsobjekt. Sie vereint die Pole Sehen und Gesehenwerden oder entsprechend dem von ihr gewählten Titel: Eye und Body.

Astrid Robin


1. Carolee Schneemann, „The Obscene Body/Politic“, in: Art Journal 50, 1991, H. 4, Censorship II, S. 28–35, hier S. 29.

 

Die Arbeit ist derzeit in der Ausstellung Enjoy – Die mumok Sammlung im Wandel in der Präsentation Re/Aktionen (kuratiert von Naoko Kaltschmidt) zu sehen.