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Die Erde halten

mumok insider


Rainer Fuchs zum Tod von Lois Weinberger

 

Mit unnachahmlicher Konsequenz hat Lois Weinberger die Natur als kulturelles und gesellschaftliches Terrain zum Thema seiner Kunst gemacht. Der Vorstellung von Natur als geschichtsfreier Idylle hat er stets ein zivilisations- und wissenschaftsaffines Naturbild entgegengestellt. Als künstlerischer Feldforscher mit professionell ausgeprägter Kenntnis der Biologie, der Geschichte, der Soziologie und der Ethnologie hat Weinberger insbesondere das Randständige, leicht Übersehene und gerne Verdrängte ins Zentrum seiner Arbeiten gestellt. Sein bekanntestes Motiv dafür sind die sogenannten Ruderalpflanzen, die gemeinhin als Unkraut und florale Störfaktoren geringgeschätzt und eliminiert werden. Er rückt sie, ebenso wie den Zivilisationsmüll, der sich gelegentlich in ihnen verfängt, in unser Bewusstsein, um sie als Spiegelbilder unverstellter Realität, über die man gerne hinwegsieht, sichtbar zu machen. In der Ausstellung Naturgeschichten im mumok (2017) war eine solche Arbeit über eine griechische Ortschaft zu sehen, die sowohl touristischer Idealisierung als auch industrieller Fortschrittseuphorie Paroli bot und überdies – ohne vordergründig zu sein – aktuelle europäische Zeitgeschichte ins Blickfeld rückte. Pflanzen, die man als heimisch-naturgegeben verinnerlicht hat, die aber in Wahrheit aus der Fremde eingeschleust oder importiert wurden, sind ein weiteres Thema Weinbergers, das liebgewordene Klischees unterläuft und sich metaphorisch und zeitkritisch auf aktuelle Identitäts- und Migrationsfragen beziehen lässt. Dass sich Weinberger bereits in den 1980er-Jahren damit befasste, verdeutlicht seine politische Sensibilität und Vorreiterrolle für aktuelle Zeitfragen.

 

Als Archäologe seines unmittelbaren Umfeldes oder auch weit entfernter zeitgeschichtlicher Brennpunkte hat der Künstler stets verdeutlicht, wie sehr nicht nur Natur und Kultur, sondern auch Vergangenheit und Gegenwart einander bestimmen. Besonders deutlich wurde dies in seinen zahlreichen Ausstellungen (z.B. documenta X, documenta XIV, Biennale Venedig 2009), die auch seine herausragende internationale Bedeutung unterstrichen. Von Beginn an war Weinberger, der zunächst keine Schule besuchen konnte, ein sprachversierter Künstler und Poet. Er musste sich die Sprache buchstäblich erkämpfen und hat sie – seinem Verständnis von Natur vergleichbar – souverän wie kaum ein anderer vor klischeehafter und banaler Verwendung bewahrt. Mit Weinberger, dem 1999 als letzte Ausstellung des 20er Hauses (mumok) eine erste große Retrospektive gewidmet war, verliert die Kunstwelt eine bescheidene, aber überaus prägnante und für die Zukunft noch wegweisende Persönlichkeit.