
© mumok, Foto: Nico Havranek
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„Ich bin ein Buch, kaufe mich jetzt“
Dieser Buchtitel von A. R. Penck hätte das Motto für den mumok Art Book Day 2020 werden können, der in diesen Tagen im mumok stattgefunden hätte. Leider musste die Künstlerbuchmesse heuer pandemiebedingt abgesagt werden. So haben wir uns dazu entschieden, Interviews mit vier Protagonist*innen der Wiener Künstlerbuchszene zu führen. Diese werden an vier aufeinanderfolgenden Donnerstagen in unserem Blog zu lesen sein. Auch wenn wir persönliche Begegnungen, Dialoge, Entdeckungen und vieles mehr dadurch nicht ersetzen können – wir hoffen, damit einen kleinen Einblick in die Bandbreite des Künstlerbuches und die Diversität von Methodik und Konzept geben zu können. Lassen Sie sich überraschen!
SM: Dein künstlerisches Werk ist transdisziplinär. Neben Performances, Rauminstallationen oder Filmen produzierst Du Bücher. Welche Rolle spielt das Buch in Deinem Werk? Warum das Medium Buch?
DS: Künstlerbücher stellen für mich das Hauptdokument jeder künstlerischen Arbeit dar. In den Aufzeichnungen beginnt die konzeptuelle Phase eines Werks, sie begleiten den gesamten Schaffensprozess und formen die Referenz für die Entwicklung einer neuen Arbeit. Somit bilden die Notationen in den Büchern einen integrativen Bestandteil jeder weiteren Übersetzung in ein anderes Medium. Durch die Niederschrift und grafische Erfassung von Gedanken auf Papier konstruiere ich eine Ordnung. Das ist für mich im strukturierenden Arbeitsprozess sehr wichtig und ermöglicht es mir, komplexe Zusammenhänge zu erfassen.
SM: Du arbeitest mit Verschlüsselungen, Symbolen, Zahlen und Formeln, die ihren Ursprung in der Mathematik haben. Was ist Dein Konzept?
DS: Mein Bestreben besteht darin, Ereignisse aus meiner persönlicher Geschichte, d.h. dem Mikrokosmos, und gegenwärtige Ereignisse der Umwelt, die mich betreffen oder beschäftigen, dem Makrokosmos, grafisch festzuhalten, zu analysieren und zu strukturieren, Muster und Relationen zu erkennen und somit zu einem höheren Verständnis zu kommen. Es ist eine Suche nach einer vermeintlichen Ordnung in einem vermeintlichen Chaos, wobei diese zwei Polaritäten sich auch stark miteinander verweben, wenn man die Aufzeichnungen in meinen Büchern betrachtet.
SM: Gibt es für Dich (historische) Vorbilder?
DS: Es gibt zahlreiche Künstler*innen und Werke, die mich inspirieren, ansprechen oder wo sichtbare Parallelen zu meinem künstlerischen Arbeitsprozess bestehen. Ich möchte jedoch keine Namen nennen, da die Aufzählung nicht vollständig wäre und sich kontinuierlich verändert. Durch die Bewegung im Fluss der Zeit entstehen immer wieder neue Referenzpunkte.
SM: Wo entstehen Deine Künstlerbücher und welche Technik wendest Du an? Wie sieht das Produzieren und Publizieren in Deiner Praxis aus?
DS: Jedes Künstlerbuch beginnt mit der Aufzeichnung auf oftmals separaten Blättern, die bereits bestimmtes visuelles Material enthalten, wie ein Probedruck oder eine frühere Notation. Die neuen Gedanken fügen sich in das Format der Seite zum Bestehenden hinzu, es gleicht dem Prozess von Wissensgenerierung, wo frühere Erfahrungen in Relation zu den aktuellen gesetzt werden. Durch die Technik der visuellen Collage entstehen über mehrere Etappen der Aufzeichnung immer wieder interessante Zusammenhänge, die wiederum neue Denkprozesse anstoßen. Einzelne Seiten werden dann von mir im Atelier zu Büchern gebunden, die ein Unikat darstellen. Dieses wird wiederum gescannt und anschließend in Auflage gedruckt, wobei es Unterschiede gibt zwischen handgebundenen und teilweise handschriftlich ergänzten Büchern oder rein maschinell gefertigten Exemplaren.
SM: Das Spektrum Deiner Künstlerbücher reicht vom Unikat zum Auflagenbuch. Siehst Du qualitative und quantitative Unterschiede, Hierarchien? Wenn ja, wie bewertest Du diese? Und was macht für Dich ein Künstlerbuch aus, was ist Deine Definition dafür?
DS: Die unterschiedlichen Buchformate stellen verschiedene Ausprägungen einer Konzeption dar. Auch jede Variation des Künstlerbuchs stellt einen Übersetzungsprozess dar, in dem Informationen verloren gehen oder sich durch ihre Anordnung neu verknüpfen. Natürlich ist das Unikat das Buch der höchsten Ordnung, es ist meine wichtigste konzeptuelle Sammlung. Modulationen des Ausgangsmaterials bilden je nach persönlichem Eingriff und individueller Gestaltung sich darunter gruppierende Hierarchien.
Ein Künstlerbuch ist für mich ein eigenständiges künstlerisches Werk. Es kann im Zusammenhang zu Werken in anderen Medien betrachtet werden, funktioniert aber auch unabhängig davon. Es hat auf den ersten Blick die Form eines Buchs, muss dabei jedoch keinen Kriterien bezüglich Inhalt und Gestaltung folgen. Als Hybrid vereint es Aspekte aus unterschiedlichen Disziplinen in einer einzigartigen haptischen Form.