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Art Book Day #2

mumok insider


„Ich bin ein Buch, kaufe mich jetzt“

Dieser Buchtitel von A. R. Penck hätte das Motto für den mumok Art Book Day 2020 werden können, der in diesen Tagen im mumok stattgefunden hätte. Leider musste die Künstlerbuchmesse heuer pandemiebedingt abgesagt werden. So haben wir uns dazu entschieden, Interviews mit vier Protagonist*innen der Wiener Künstlerbuchszene zu führen. Diese werden an vier aufeinanderfolgenden Donnerstagen in unserem Blog zu lesen sein. Auch wenn wir persönliche Begegnungen, Dialoge, Entdeckungen und vieles mehr dadurch nicht ersetzen können – wir hoffen, damit einen kleinen Einblick in die Bandbreite des Künstlerbuches und die Diversität von Methodik und Konzept geben zu können. Lassen Sie sich überraschen!
 

Vom öffentlichen Pinkeln, von Gedankenstrichen und adoptierten Büchern
Astrid Seme und Thomas Geiger, Mark Pezinger Books im Interview mit Simone Moser

SM: Ihr führt den 2009 gegründeten Mark Pezinger Verlag seit 2015 im Duo. Was hat Euch dazu bewogen, in diese Branche einzusteigen? Wie habt Ihr begonnen, wofür steht Euer Programm und warum dieser Name?

AS/TG: Gegründet wurde Mark Pezinger 2009 von Karsten Födinger und Thomas Geiger, 2011 sind Astrid Seme und Natalie Obert dazugestoßen. Seit 2015 führen wir den Verlag im Duo. Ursprüngliches Anliegen war es, eine Plattform für eigene Künstlerbücher aufzubauen. Daraus haben sich dann immer mehr Kollaborationen mit anderen Künstler*innen entwickelt. Was den Namen betrifft: Diese Geschichte ist lang und voller Geheimnisse und wird vielleicht ein anderes Mal erzählt. 

SM: Ein Teil Eures Verlagsprogramms ist die Black Forest Library. In diesem Kontext sind Eure neuesten Bücher erschienen: Peeing in Public von Thomas Geiger und Baroness Elsa’s em dashes von Astrid Seme.

AS/TG: Die Black Forest Library haben wir 2019 begonnen, als Taschenbuchserie, welche den halbwissenden Expert*innen, den thematischen Freaks und den eigenbrötlerischen Randwander*innen einen Ort bietet. Einen Ort, an dem die Laien zu Expert*innen werden und umgekehrt. Auf die Leserschaft warten Phänomene, die zwischen den bekannten Disziplinen umhergeistern und dabei überraschende und absurde Momente erzeugen: Eine Bibliothek der Schnittstellen, Zwischenräume und Leerstellen. Astrid und ich haben die ersten beiden Publikationen der Serie selbst gemacht, um sozusagen die Marschrichtung vorzugeben. Astrid ist Grafikdesignerin und hat sich in der ersten Ausgabe dem Gedankenstrich der Baroness Elsa von Freytag-Loringhoven gewidmet. Baroness Elsa’s em dashes ist sowohl eine Anthologie über ein paradoxes – wenn nicht sogar das paradoxeste – Satzzeichen, als auch eine Hommage an Elsa selbst. Die Avantgardekünstlerin war eine immens wichtige Person in der Dada-Szene von New York Anfang des 20. Jahrhunderts. Sie verfasste seit ihrem zwölften Lebensjahr Gedichte und durchsetzte diese ausgiebig und konsequent mit Gedankenstrichen. Das Buch liefert unterschiedliche Betrachtungswinkel aus der Literatur- und Druckgeschichte und lässt andere bekannte „dasher“ wie Gertrude Stein, Laurence Sterne oder Emily Dickinson zu Wort kommen.

Die zweite Publikation der Black Forest Library ist Peeing in Public, das aus Thomas’ Interesse am Dürfen und Müssen im öffentlichen Raum entstanden ist: In der Öffentlichkeit zu pinkeln ist ein Kampf, der auf wirtschaftlichen, politischen, technologischen und sexuellen Feldern ausgetragen wird. Wann, wo und wie wir unser Geschäft erledigen können, ist sicherlich eine Frage, die uns alle immer mal wieder beschäftigt. Peeing in Public gibt verschiedenen (historischen) Persönlichkeiten eine Stimme, die über ihre Bemühungen, Handlungen und Erfindungen in Bezug auf dieses Thema sprechen. In diesem Jahr sind bereits drei neue Black Forest-Editionen entstanden: The Book of Record of the Palm Capsule von Christian Kosmas Mayer, The emblematic cabinet von Hanakam & Schuller und und, ganz neu, How to play Tripple Dribble von Julia Borderie.

SM: Parallel dazu gibt es die so genannten Adoptives. Wie kommt man dazu, dass man Bücher „adoptiert“? Was steckt dahinter? 

AS/TG: Viele Künstler*innen bringen ihre Hefte und Bücher im Eigenverlag heraus, wunderschöne Publikationen, die häufig aber nur sehr schwer zu finden sind – bzw. nur sehr schwer vertrieben werden können. Aus diesem Grund haben wir Adoptives initiiert, wo wir solche selbstverlegten Schätze adoptieren, sie mit einem Stempel versehen und in unseren Verlag und unseren Vertrieb integrieren – als ob wir sie selbst verlegt hätten.

SM: Ihr verlegt sowohl eigene Bücher als auch Bücher von anderen Künstler*innen. Was macht den Unterschied? Und was ist für Euch das Schönste und Wichtigste an der Arbeit mit Büchern?

AS/TG: Das Schönste ist die Zusammenarbeit und die gemeinsame Entwicklung eines Buches. Wir nehmen keine fertigen Publikationen ins Programm auf, sondern sind von Anfang an involviert. Astrid als Grafikgesignerin und ich als Verleger. Diese gemeinsame Produktion vom Anfang bis zum Ende ist uns immens wichtig. Bei Büchern anderer Künstler*innen ist die Herausforderung noch größer, da man sich auf eine andere Person, eine andere Denkweise einlassen muss. Das ist faszinierend und anspruchsvoll.

SM: Warum machen Künstler*innen Bücher? Wo und wie verortet Ihr das Künstlerbuch? Was ist Eure Definition?

AS/TG: Eine Antwort für alle drei Fragen: Weil Bücher von Künstler*innen immer schon physische Erfahrungsräume für Ideen und Denkweisen waren – und ganz sicher auch bleiben werden. 

www.markpezinger.de